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Lisa Eckhart beim Literarischen Quartett: Absurdes Theater - auch zwischen den Buchdeckeln

Lisa Eckhart beim Literarischen Quartett Absurdes Theater  auch zwischen den Buchdeckeln
Lisa Eckhart beim "Literarischen Quartett"? Teufel auch! Die Teilnahme der umstrittenen Kabarettistin an der ZDF-Literatursendung hatte im Vorfeld für mediale Aufregung gesorgt. Dabei ist ihr Auftritt vor allem eins: sehr unterhaltsam.
Lisa Eckhart zu Gast beim Literarischen Quartett vom 04.12.2020 | Bild: ZDF / Jule Roehr

Lisa Eckhart hat es innerhalb kurzer Zeit zu beträchtlichem Ruhm gebracht. Einen nicht geringen Anteil daran dürften ihre Kritiker haben. Jene "furchtlosen Moralritter", wie man sie mit einem Wort des Kabarettisten Walter Mehring nennen möchte, die Tag für Tag vornehmlich auf Twitter die Lanze schwingen und ihre Gegner lieber mit heruntergeklapptem als mit offenem Visier attackieren. Ihre Rüstung heißt Entrüstung – als Anlass für den jüngsten Entrüstungsrausch reichte die bloße Ankündigung von Lisa Eckharts Auftritt im heutigen Literarischen Quartett. Wie man das nur machen könnte! SIE einladen!

Die Dämonisierung der Autorin ("Omama") und Kabarettistin nimmt mittlerweile derart groteske Züge an, dass Lisa Eckhart sich in ihrer eigenen Masterarbeit in Germanistik wähnen muss. Deren Thema war die Figur des Teufels in der Literatur. Maxim Biller ereiferte sich in einer etwas altersmüden Variation seiner ihn einstmals berühmt gemacht habenden Tempo-Kolumne "Hundert Zeilen Hass" in der Süddeutschen Zeitung, wenn am Freitagabend diese "28-jährige Frau aus einem Dorf in der Steiermark im 'Literarischen Quartett' (...) mit ihrer sehr, sehr blonden HJ-Frisur, mit ihrem Nazi-Domina-Look und ihrem herablassenden, nasalen Offiziersmessen-Ton" auftrete, dann habe "der deutsche Jude und Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki endgültig den Kampf gegen die Nazis verloren".

Eine äußerst muntere Runde

Über diesen Satz hätte, so steht zu vermuten, das große kabarettistische Talent Marcel Reich-Ranicki am lautesten gelacht. Wohlweislich ging in der vorab in der ZDF-Mediathek zu sehenden Sendung keiner auf die Anwürfe des einstigen Quartett-Mitglieds Maxim Biller ein – weder die von ihm ebenfalls schwach angekofferte Gastgeberin Thea Dorn noch ihre Gäste, zu denen neben Lisa Eckhart die Tennisspielerin und Autorin Andrea Petković (sie ist auch Gründerin des Online-Buchklubs "Racquet Book Club") sowie der Schauspieler Ulrich Matthes zählten. Eine äußerst muntere Runde.  

Deren Mittelpunkt freilich die in diesem Jahr wiederholt vorabskandalisierte Lisa Eckhart bildete – mit ihrer klugen Eloquenz, ihrem austriakischen Schmäh und ihrer ganzen Erscheinung, über die der Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier gerade in seinem Essay "Deutschlandglotzen. Ganze Tage vor dem Fernseher" schrieb, sie sei "eine superoxydgebleichte österreichische Künstlichkeitsdamenfigur mit endlos langen Fingernägeln und noch endloserer gaumiger Knautschdehnung sämtlicher Vokale".

Houellebecq, der heimliche Romantiker

Eckhart hatte als Empfehlung Michel Houellebecqs soeben veröffentlichten Band mit Essays und Gesprächen "Ein bisschen schlechter" mitgebracht. Der Landsmännin Robert Musils gefiel nicht nur, dass der gern als Reaktionär verfemte Franzose darin Corona als "ein Virus ohne Eigenschaften" bezeichnet, "das die onanistische Vereinzelung der Gesellschaft nur vorantreiben wird". Houellebecq, so Eckhart mit ihrem ins Gesicht eingefrorenen leisen Lächeln, sei ein "Künstler, der ein tiefes moralisches Bewusstsein hat – und keinerlei Lust zu moralisieren. Das ist, meine ich, etwas sehr Extraordinäres heutzutage, wo es sich bei Künstlern meist umgekehrt verhält". Im vermeintlichen Zyniker machte sie den heimlichen Romantiker aus, der im Schubert-Konzert weinen muss. Sie zeigte seine Selbstwidersprüche auf, schalt ihn sanft für seine Nietzsche-Kritik und amüsierte sich über Houellebecqs Selbstapotheose und seine Selbstwidersprüche.

Gastgeberin Thea Dorn

Thea Dorn outete sich ebenfalls als Fan: Die "Provokationsmaschine Houellebecq" suhle sich "im Raum des Paradoxen". Und während Ulrich Matthes als erklärter Linksliberaler sehr sympathisch und auch nachvollziehbar sein Magengrimmen artikulierte und sich vom Autor "nicht gepuncht, sondern etwas lahmarschig gestreichelt" fühlte, betrieb Eckhart anspielungsreichste Text-Exegese. Nicht ohne Grund hatte es ihr, deren Bühnenfigur immer wieder mutwillig mit der Person Lisa Eckhart vermengt wird, jene Stelle besonders angetan, an der Michel Houellebecq schreibt: "Offensichtlich muss man auf der Hut sein, für welche Rolle man sich entscheidet (denn was man spielt, das wird man auch bald)." Exakt dieses für viele verwirrende "dialektische Ineinander", faszinierte Lisa Eckhart.

Ernst Jünger für den Weihnachtsabend

Man hat selten vier Menschen so anregend und wortgewandt im Fernsehen über Michel Houellebecq diskutieren hören wie in den ersten fünfzehn Minuten dieses 54-minütigen Quartetts. Danach ging es um Elif Shafak und ihren Roman "Schau mich an". Auch hier war es wieder die fadendünne Eckhart, die am intelligentesten sprach über die ungewöhnlich dicke Heldin dieses Buches, der ihre Verfasserin glücklicherweise deshalb nicht - wie sonst üblich - "eine höhere Moralität" zuschreibe. Im Gegenteil, so Eckhart: "Sie ist gereizt, das hat mir schon sehr gut gefallen. Weil man sich heutzutage bei all den für Body-Positivity auf Plakaten werbenden curvy models schon fragt: Warum lachen die immer so debil? So, als wäre Schwermut nur den Anorektikern vorbehalten. So ist sie nicht. Die ist gereizt und keine zwangsläufig sympathische Figur – und gerade das macht sie sympathisch."

Voreilige Kritiker Lisa Eckharts sollten sich gerade diese Passage über ihr Figuren- und Kunstverständnis ansehen. Diejenigen, die bei ihr schnell mit Nazi-Vergleichen bei der Hand sind, fütterte Lisa Eckhart noch mit einem Buch-Tipp. Byung-Chul Hans Brevier "Palliativgesellschaft" empfahl sie unter anderem mit diesen Worten: "Es ist sehr kurz, es hat einige schöne Gedanken, viele Ernst-Jünger-Referenzen, also was Besinnliches für Weihnachten. Kann man schnell lesen am Heiligabend und dann handgreiflich darüber diskutieren." Selbst schuld, wer schwarzen Humor und Sarkasmus nicht goutieren kann.

Kontrovers ja - aber auch unterhaltsam
Ulrich Matthes, Andrea Petkovic, Thea Dorn, (v.h.) und Lisa Eckhart beim Literarischen Quartett vom 04.12.2020 | Bild: ZDF / Jule Roehr

Denjenigen, die bei ihr immer gleich Antisemitismus rufen, wird indes schon allein der Umstand, dass Lisa Eckhart kein Gefallen an Minka Pradelskis jüdischem Familienroman "Es wird wieder Tag" finden konnte (den Thea Dorn mitgebracht hatte), genügen, um sich in ihrem Verdacht und Urteil bestätigt zu sehen. Dumm nur, dass auch Ulrich Matthes mit dem "vertüddelten und betulichen Stil" dieses Buches, der dem "wichtigen Sujet einfach sprachlich nicht gewachsen ist", partout nichts anfangen konnte. Ist Matthes vielleicht auch ein Antisemit?

Eine "Wucht" jedenfalls fand der 61-Jährige Don DeLillos Spätwerk "Die Stille". So viel ungerechtfertigtes Lob rief in Lisa Eckhart die fast zuchtmeisterlichen Sätze hervor: "Ich habe selten so einen Zorn empfunden bei der Lektüre eines Buches wie bei diesem." Bis sie beschlossen habe, diese Geschichte wie ein Stück von Eugène Ionesco zu lesen: "Ich sagte mir: Lies es wie absurdes Theater – und plötzlich fand ich es unfassbar komisch."

Andrea Petković wiederum hatte bei aller Begeisterung für DeLillos Büchlein überlesen, dass darin das Corona-Virus vorkommt – was deshalb etwas misslich war, weil sie den Amerikaner gerade dafür loben wollte, dass er die Pandemie nicht beim Namen genannt habe. Thea Dorn wies sie darauf hin, worauf die Tennisspielerin sich gleich selbst vom Platz nehmen wollte. Das aber wäre sehr schade gewesen. Denn diese Ausgabe des Literarischen Quartetts war die bisher unterhaltsamste und kontroversiellste unter der Leitung von Thea Dorn. Den größten Anteil daran hatte ohne jeden Zweifel niemand anderes als Lisa Eckhart.  

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