Karin Keller-Sutter: «Es ist nicht meine Aufgabe, Urteile über die ...
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TV-Auftritt bei RTS –
Keller-Sutter: «Es ist nicht meine Aufgabe, Urteile über die Vereinigten Staaten zu fällen»Im Westschweizer Fernsehen verteidigt Karin Keller-Sutter ihre Aussagen zur Rede von J. D. Vance. Die SP verlangt am Freitag eine Aussprache.
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Am Mittwochabend nahm Karin Keller-Sutter in der Sendung RTS Stellung zu ihren Aussagen zu J. D. Vance.
Foto: Screenshot
- Karin Keller-Sutter verteidigt ihre Ansichten zur Rede von J. D. Vance.
- Sie habe sich bewusst auf seine Aussagen zur Meinungsfreiheit beschränkt.
- Die SP will an den Von-Wattenwyl-Gesprächen über Trump und die Schweiz reden.
- Historiker Sacha Zala sagt, dass Keller-Sutters Aussagen einem Muster in der Aussenpolitik folgten.
Karin Keller-Sutter hält an ihren Aussagen zur Rede von US-Vizepräsident J. D. Vance an der Münchner Sicherheitskonferenz fest. «Nur weil jemand ein Verhalten an den Tag legt, das man nicht gut findet, nicht akzeptiert oder kritisiert, bedeutet das nicht, dass alle seine Aussagen falsch sind», sagte die Bundespräsidentin am Mittwochabend in der Sendung «Infrarouge» im Westschweizer Fernsehen RTS.
Sie habe sich bewusst auf Vance’ Aussagen zur Meinungsfreiheit und seinen Aufruf, die Bevölkerung miteinzubeziehen, beschränkt, so Keller Sutter: «Es ist nicht meine Aufgabe, ein Urteil über die Vereinigten Staaten zu fällen.» Auch die Aussagen von J. D. Vance zum Zustand Europas wolle sie nicht kommentieren.
Mit ihren Aussagen an der Münchner Sicherheitskonferenz sorgte Keller-Sutter übers Wochenende für Irritation. In einem Interview mit der Zeitung «Le Temps» sagte sie, dass sie die Rede von US-Vizepräsident J. D. Vance als «sehr liberal» und in gewisser Weise «sehr schweizerisch» empfunden habe. Vance warf in seiner Rede den europäischen Alliierten vor, die Meinungsfreiheit einzuschränken und demokratische Werte zu untergraben. Während etwa die französische Tageszeitung «Le Monde» die Rede als «ideologische Kriegserklärung» an Europa bezeichnete, erkannte Keller-Sutter in Vance’ Worten ein «Plädoyer für die direkte Demokratie».
Aus den Reihen von SP, Grünen, GLP und Mitte hagelte es Kritik. Auch der ehemalige FDP-Bundesrat Pascal Couchepin meldete sich zu Wort. Er sprach Keller-Sutter das Interesse an der «liberalen Philosophie» ab. «In einer Demokratie hat man Gegner, aber keinen Feind im Inneren, wie der amerikanische Vizepräsident behauptet», so Couchepin.
Keller-Sutter erwiderte nun bei RTS, dass man sich mit den neuen Realitäten auf der Welt arrangieren müsse. Über Weihnachten habe sie – quasi als Vorbereitung – Donald Trumps Buch «The Art of the Deal» gelesen. «Das Trump-System ist ein System der Ankündigungen, ein System des Schocks.» Er stelle etwas in den Raum und schaue dann, wie es sich entwickle. «In dieser neuen Welt, die zunehmend polarisiert und angespannt ist, wird die Schweiz versuchen, so gut wie möglich zu navigieren, um wirklich ihre Interessen zu verteidigen», so Keller-Sutter.
Rolle als «Super-Aussenminister»
Bundespräsidenten, die mit kontroversen Aussagen zur Aussenpolitik für Aufsehen sorgen, sind ein eher neueres Phänomen der Schweizer Zeitgeschichte. Für ähnliche Entrüstung sorgte etwa Alain Berset (SP), als er 2023 in einem Interview im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg sagte, dass er in «gewissen Kreisen» einen «Kriegsrausch» spüre.
Sacha Zala ist Direktor der Forschungsstelle Diplomatische Dokumente der Schweiz. Er sagt: «Die Rolle des Bundespräsidenten hat sich in den letzten dreissig Jahren massiv verändert.» Bis Ende der 80er-Jahre war diese Funktion fast ausschliesslich mit dem Führen von Bundesratssitzungen und der Neujahrsansprache verbunden. Dass ein Bundespräsident ins Ausland reiste, kam praktisch nie vor.
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Der Historiker Sacha Zala hat Hunderte diplomatische Dokumente zur Schweizer Aussenpolitik ausgewertet.
Foto: Nicole Philipp
Dies habe sich in den vergangenen Jahren stark geändert, sagt der Professor für Schweizer Geschichte an der Uni Bern. Einerseits durch die Übernahme von Gepflogenheiten aus dem Ausland, andererseits auch aufgrund der sich wandelnden Medienlandschaft und des Drucks der Stäbe der Bundesräte, die diese stets ins beste Licht rücken wollten.
Bundespräsidenten seien zu einer Art «Super-Aussenminister» geworden, sagt Zala. Im Schweizer System ergebe diese Rolle nur wenig Sinn. «Ein Bundespräsident verfügt im Gegensatz zu anderen Staats- und Regierungschefs im Ausland über keine eigentliche Hausmacht.» In Bundesbern habe sich aber insbesondere bei den engsten Mitarbeitern der Bundesräte die Ansicht verbreitet, dass diese Auftritte wichtig für die öffentliche Wahrnehmung seien.
Vor zwanzig Jahren wäre eine Bundespräsidentin wohl nie an einen Anlass wie die Münchner Sicherheitskonferenz gereist, sagt Zala. «Und es hätte auch kein Journalist gefragt, wie sie diese oder jene Rede fand.»
«Schwesterrepublik» als diplomatische Floskel
Als der Historiker die Aussage von Karin Keller-Sutter las, sah er darin aber dennoch ein Muster der schweizerischen Aussenpolitik. «Unsere Politiker betonten seit jeher gern, dass die USA und die Schweiz Schwesterrepubliken seien», so Zala. Zwar sei der Begriff angesichts der Stärken- und Grössenverhältnisse der beiden Ländern nicht viel mehr als eine diplomatische Floskel. Vor dem Hintergrund drohender Strafzölle der Trump-Administration sei es aber nachvollziehbar, dass die Schweiz versuche, diese Karte wieder zu spielen.
Teils habe sich diese Strategie in der Vergangenheit ausgezahlt, teils nicht, so Zala. «Wenn die USA wirklich etwas von der Schweiz wollten, dann haben sie das stets mit voller Wucht durchgesetzt.» Das wohl bekannteste Beispiel war die Aufhebung des Bankgeheimnisses. Damals ermöglichte der Bundesrat den US-Steuerbehörden auf einen Schlag den Zugriff auf die Daten von 4450 Bankkonten.
Thema an Von-Wattenwyl-Gesprächen
Wie die Schweiz in den kommenden Wochen und Monaten den neuen Realitäten in Washington begegnen soll: Darüber wird auch an den Von-Wattenwyl-Gesprächen am kommenden Freitag gesprochen. Beim Austausch zwischen Bundesrat und Parteipräsidium hat die SP das Thema traktandieren lassen. «Wir werden Karin Keller-Sutter dabei auf ihre bedenklichen Aussagen zur Rede von J. D. Vance ansprechen», sagt SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer.
Falls es auch im Ausland Aufregung über den Kommentar von Karin Keller-Sutter gab, wurde diese nicht öffentlich sichtbar. Laut dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten von Ignazio Cassis (FDP) sind «keine offiziellen Reaktionen» von europäischen Botschaften betreffend die Äusserungen eingegangen.
Vance-Rede und die Schweiz
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