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FDP und Karin Keller-Sutter: Wenn Freiheit zur Nebensache wird

FDP und Karin KellerSutter Wenn Freiheit zur Nebensache wird
Im Kampf gegen autoritäre Kräfte ist auf die FDP schon lange nicht mehr zu hoffen. Warum die Aussagen von Karin Keller-Sutter niemanden überraschen sollten.
Bundespraesidentin Karin Keller-Sutter, rechts, und Thierry Burkart, Parteipraesident der FDP, links, lachen nach der Delegiertenversammlung der FDP Die Liberalen Schweiz, am Samstag, 18. Januar 2025  ...

FDP-Chef Thierry Burkart und Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter. Bild: keystone

Kommentar

Karin Keller-Sutters Loblied auf die Rede von J.D. Vance vom Wochenende hätte uns eigentlich nicht überraschen sollen: Im Kampf gegen autoritäre Kräfte ist auf die vermeintlich «Liberalen» schon lange nicht mehr zu hoffen.

19.02.2025, 12:1919.02.2025, 15:57

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Angesprochen auf ihre Vorstellung von Liberalismus sagte Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter einst in einem Interview, klare Regeln seien die Voraussetzung für eine liberale Gesellschaft: «Ich kann ja nur dann frei sein, wenn ich weiss, dass alle anderen sich auch an die Regeln halten.»

Es ist eine Vorstellung von Freiheit, die auch in unseren Gesetzen vertreten ist: Freiheit gilt nicht schrankenlos, sie kann nur durch Grenzen bestehen. Dazu passt auch dieser Satz, den Keller-Sutter einst gegenüber dem Gewerbeverband äusserte:

«Als Liberale sage ich: ‹Sie haben recht! Setzen Sie sich zur Wehr gegen übertriebene Einschränkungen!› Ich sage aber auch: ‹Übernehmen Sie die Verantwortung, die mit der Freiheit verbunden ist. Eigenverantwortung, aber auch Verantwortung gegenüber der Gesellschaft.›»

Karin Keller-Sutters Vorstellung von Freiheit passt auch zu unserer sozialen Marktwirtschaft. Und sie suggeriert, dass sich eine Partei wie die FDP, die «liberal» im Namen trägt, kompromisslos für die Freiheit vor den Bug wirft, wenn sie diese in Gefahr sieht, wenn sich jemand nicht an die Regeln hält oder die eigene Verantwortung nicht wahrnimmt.

Nicht mehr für etwas, sondern gegen das andere

Und tatsächlich – so fair muss man sein: Das tun die Liberalen, und zwar seit Jahren und sehr vehement. Allerdings selektiv – die Partei wittert Gefahren nur noch von linker Seite: Die Forderung nach erneuerbaren Energien gefährde die Technologieoffenheit und die Freiheit, Atomkraftwerke zu bauen. Der Genderstern bedrohe die Freiheit, so zu sprechen, wie es einem beliebt. Die inklusive Schule stehe der Freiheit von hochbegabten Kindern und unserer Leistungsgesellschaft im Weg. Und die Forderung nach einer Erbschaftssteuer greife in die freie Verfügung über die Milliarden reicher Erben ein. Und so weiter. Wem das jetzt zu schwammig ist, werfe einen Blick in die jüngsten Medienmitteilungen der Partei.

Diese zeigen exemplarisch eine Partei, die sich, geeint durch ein gemeinsames Feindbild, schon fast unterwürfig am rechten Rand anbiedert. Die Zeiten, in denen die Blocher-Partei als unappetitlich – da freiheitsgefährdend! – galt, sind lange passé. Heute muss man sich vielmehr fragen, ob die Partei, die einst die liberale Bundesverfassung geschaffen hat, überhaupt noch ihr eigenes Parteiprogramm kennt. Dieses orientiert sich noch immer an «Freiheit, Gemeinsinn und Fortschritt».

Mit ihrem Kampf gegen links und «Woke» trägt Keller-Sutters und Thierry Burkarts Partei zu einer Polarisierung bei: Es geht kaum noch darum, für etwas zu sein, sondern vielmehr gegen das andere. Linke bekämpfen alles von Mitte und rechts, Bürgerliche bekämpfen linke Ideologie.

Im liberalen Lager ist diese Haltung aber besonders drastisch vertreten. Sie kontrastiert dabei mit der Selbstwahrnehmung, ideologiefrei und rational zu politisieren und offen zu sein gegenüber allem, was die Vernunft gebietet.

Ein Rechtsrutsch, der über die Partei hinausgeht

Diese Tendenz ist übrigens längst nicht nur in der Parteienlandschaft zu finden. Vielmehr geht sie mit einer ebenso drastischen Verschiebung in der Medienlandschaft einher: Die NZZ, eine qualitativ hochstehende Tageszeitung, die einst so stolz wie keine andere ihre liberalen und vernunftgeleiteten Werte hochgehalten hat, rutscht immer deutlicher von der Mitte nach rechts. Zwar ist die exzellente Berichterstattung noch nicht der Expansion nach Deutschland und in das stramm-rechte Lager zum Opfer gefallen. Ihre Meinungsmache jedoch wird angeheizt von einem Chefredaktor, der sich so stark radikalisiert hat, dass für ihn alles Autoritäre grundsätzlich nur noch von links kommt.

Jüngstes Beispiel: Unter dem Titel «Die hysterische Republik: Die deutsche Linke will die Demokratie retten – was für eine Anmassung» schrieb Eric Gujer über die grossen, breit abgestützten Proteste in Deutschland vor zwei Wochen gegen rechts und gegen die konservative CDU, die sich zum Erschrecken vieler der rechtsextremen AfD angenähert hat. «Der Wahlkampf in Deutschland ähnelt einem Schmierentheater. Rot-Grün möchte der Opposition vorschreiben, wie diese sich zu verhalten hat. Die Idee ist autoritär.» Der NZZ-Chefredaktor wünscht sich keine Demonstrationen gegen rechts, sondern solche «gegen den Niedergang der öffentlichen Ordnung». Und er kommt zum zynischen Schluss: «Für die Demonstranten ist das Manöver des CDU-Vorsitzenden offenkundig skandalöser als die Ermordung ihrer Mitbürger.»

Im Land of the Free steht die Freiheit unter Beschuss

Unsere Welt ist in diesen Tagen nicht mehr dieselbe, und man hat das Gefühl, mit jedem weiteren Tag erfährt sie den nächsten Bruch – aber nicht wegen des beklagten «Niedergangs der öffentlichen Ordnung». Heute steht in den westlichen Ländern – nicht nur Karin Keller-Sutters – Vorstellung von Freiheit so stark unter Beschuss wie kaum je seit dem Zweiten Weltkrieg: von Russland und, immer bedrohlicher, von wiedererstarkten autoritären Kräften in ganz Europa. Und von den USA seit ziemlich genau einem Monat.

Die neue Administration in Washington ist gerade dabei, den gesamten Staatsapparat umzubauen. Staatsangestellten wird gekündigt, wenn sie Meinungen vertreten, die nicht auf Regierungslinie sind, Bücher werden verboten, offizielle Websites, die schon nur im Geringsten auf Diversität hindeuten, gelöscht. Meinungsfreiheit gilt nur noch für die «richtige» Meinung. Das Gesellschaftsmodell der USA – dem Land of the Free, Home of the Brave – soll in eine autokratische und illiberale Herrschaftsform umgebaut werden, in der nur noch Oligarchen das Sagen haben.

Einer dieser (möglichen) Oligarchen, der amerikanische Vize-Präsident J.D. Vance, hat sich am vergangenen Wochenende erdreistet, den Spiess umzukehren – ähnlich wie es der NZZ-Chefredaktor getan hat: Die Demokratie in Europa sei gefährdet. Nicht etwa von rechts, von China oder von Russland, sondern von Brandmauern gegen rechts, von «Feinden» im Innern, die Zensur betreiben und die Meinungsfreiheit einschränken wollen. Vances Rede war eine Abrechnung mit allem, was von seinem Kabinett verachtet wird – darunter all jene Kräfte, die sich im Namen der Bewahrung der Freiheit gegen seine illiberalen Werte stellen.

Derselbe Mann sagte vor nicht allzu langer Zeit, Trump solle «jeden Bürokraten, jeden Beamten im Verwaltungsstaat feuern» und «sie mit unseren Leuten ersetzen».

epaselect epa11895790 US Vice President JD Vance speaks during the 61st Munich Security Conference (MSC), in Munich, Germany, 14 February 2025. High-level international decision-makers meet at the 61s ...

J.D. Vance bei seiner Rede an der Münchner Sicherheitskonferenz. Bild: keystone

Liberalismus ist nicht das Recht des Stärkeren

Karin Keller-Sutter hätte die Rede von J.D. Vance nicht kommentieren müssen. Sie hat es trotzdem getan – und hat die politische Schweiz in ein Dilemma gestürzt, das man hierzulande sonst ängstlich zu vermeiden sucht: uns als neutrales Land zu positionieren. Der FDP kam dabei gleich doppelt eine wichtige Rolle zu: mit der Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter und mit dem EDA unter dem zweiten FDP-Bundesrat Ignazio Cassis.

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Doch die Bundesrätin hat Farbe bekannt und sich Vances Vorstellung von Freiheit angeschlossen: Die Rede sei sehr «liberal» und «schweizerisch» gehalten, sie teile viele der von ihm erwähnten Werte «wie Freiheit und die Möglichkeit für die Bevölkerung, ihre Meinung zu äussern».

Die Rechtfertigung, man habe sie falsch oder nicht im Kontext verstanden, gilt dabei nicht. Ebenso wenig die Erklärung, Keller-Sutter agiere als Bundespräsidentin strategisch, um den Verbündeten USA nicht zu verärgern. Die erschrockene Reaktion Keller-Sutters auf das Echo am Wochenende ist allzu entlarvend. Auch die Stellungnahme des Aussendepartements EDA blies in ein ähnliches (dem neuen US-Regime anbiedernden) Horn.

Was ist also passiert mit der Einsicht: «Ich kann ja nur dann frei sein, wenn ich weiss, dass alle anderen sich auch an die Regeln halten»? Regeln, die gerade von der US-Regierung mit Füssen getreten werden – zeigen doch Musk, Trump und Vance, was geschieht, wenn man den «Liberalismus» falsch versteht, nämlich als Recht des Stärkeren.

Keller-Sutters Aussagen sind offensichtliche Zeichen einer Entwicklung, die längst im Gange ist: Die Liberalen und ihre zunehmend libertär geartete Vorstellung von Freiheit werden von der Realität rechts überholt.

Keine Frage von links gegen rechts – sondern der Herrschaftsform

Der entscheidende Punkt ist schliesslich: Der Feldzug, den die US-Regierung, die AfD oder das russische Regime gegen unsere freiheitlich-demokratische Ordnung führen, kommt zwar eindeutig von rechts, hat aber in seinen realen Auswirkungen nichts mit der Konfliktlinie zwischen konservativen und progressiven Werten zu tun.

Es ist vielmehr ein Kampf zwischen Demokratie und Oligarchie, respektive Autokratie; zwischen der Idee von Freiheit für alle und jener von Freiheit für wenige.

Der Freisinn hat allzu lange das linke Auge aufgerissen, während er auf dem rechten blind geworden ist. Die Folge: Die sogenannt liberalen Kräfte in der Schweiz und anderswo (siehe zum Beispiel auch die deutsche FDP) wollen sich in der Verteidigung unserer Werte im besten Fall nicht klar positionieren – im schlimmsten Fall schliessen sie sich den autokratischen Tendenzen an.

Im Kampf gegen Demokratiefeinde können wir uns nicht mehr auf die «Freiheitlichen» verlassen. Die Partei hat sich, vielleicht im Bestreben, ihre systematischen Wählerverluste irgendwie zu stoppen, ganz weit rechts von «liberal» verrannt.

Aus Angst, mit der Linken gemeinsame Sache zu machen, hat sich der Freisinn so weit nach rechts drängen lassen, dass dessen Vertreter nicht mehr erkennen, dass es einen breiten Wertekonsens gäbe, der weder links noch rechts ist: die Verteidigung von Demokratie – und Freiheit. Aber so, wie es sie Karin Keller-Sutter einst definierte.

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