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Björn Höcke und Mario Voigt streiten sich im TV: Giftiges Duell ohne ...

Björn Höcke und Mario Voigt streiten sich im TV Giftiges Duell ohne
Über eine Stunde dauerte das TV-Duell zwischen dem rechten AfD-Politiker und dem Christlichdemokraten. Höcke fordert einen Zuzugsstopp für Menschen aus dem islamischen Kulturkreis, Voigt verlangt «null illegale Migration». Ministerpräsident wollen b

Über eine Stunde dauerte das TV-Duell zwischen dem rechten AfD-Politiker und dem Christlichdemokraten. Höcke fordert einen Zuzugsstopp für Menschen aus dem islamischen Kulturkreis, Voigt verlangt «null illegale Migration». Ministerpräsident wollen beide werden, doch nur einer spricht es aus.

Die thüringischen Landesvorsitzenden der AfD und der CDU, Björn Höcke (links) und Mario Voigt, diskutierten in einem Studio von «Welt TV»

Die thüringischen Landesvorsitzenden der AfD und der CDU, Björn Höcke (links) und Mario Voigt, diskutierten in einem Studio von «Welt TV»

Martin Lengemann / Imago / Welt

Am 1. September finden die Wahlen zum thüringischen Landtag statt. Wahlberechtigt sind rund 1,8 Millionen Einwohner. Das ostdeutsche Bundesland zwischen Hessen und Sachsen hat überschaubare Masse. Dennoch war nun das allgemeine Interesse am Schlagabtausch zwischen den Vertretern der beiden in den Umfragen führenden Parteien, der AfD und der CDU, derart gewaltig, als entschiede sich in diesen 70 Fernsehminuten die Zukunft Deutschlands.

Zum ersten Mal nämlich kreuzte ein führender Christlichdemokrat, der Landes- und Fraktionsvorsitzende Mario Voigt, mit einem prominenten Protagonisten vom rechten Rand die Klingen. Der noch wenig bekannte Voigt hatte kaum eine andere Wahl, als auf einen solchen Strategiewechsel zu setzen und die Brandmauer des Kontaktverbots zu durchbrechen. Seine Partei rangiert demoskopisch bis zu zehn Punkte hinter Björn Höckes AfD, die mit rund 30 Prozent Zustimmung vorne liegt. Mit dem Duell gegen Höcke hat Voigt gewiss seinen Bekanntheitsgrad erhöht. Bleiben könnte sein Satz: «Wir räumen auf, und Sie reden nur.»

Die zwei Rollen des Björn Höcke

Höcke hingegen, der in zahlreichen Äusserungen einen völkischen Nationalismus mit einem stabilen Antiamerikanismus verbindet und die Bundesrepublik schon zum «Vasallenstaat» erklärte, changierte im Berliner Studio von «Welt TV» zwischen zwei Rollen: Mal war er der angriffslustige Apologet der bekannten AfD-Positionen zu Europa, Migration und Identitätspolitik, mal gab er den nachdenklichen Regionalpolitiker. Den beiden Profilen entsprachen, ebenso klar voneinander abgetrennt, zwei verschiedene Posen.

Als rechter Lautsprecher nutzte Höcke den ganzen Raum hinter dem Pult, deutete auf seinen Nebenmann, zuckte mit den Augen. Als Kümmerer und Zuhörer stützte er das Kinn auf den linken Handrücken, nickte sacht oder schüttelte den Kopf. Bemerkenswert aber: Nur Voigt sagte ausdrücklich, dass er thüringischer Ministerpräsident werden wollte. Höcke beliess es dabei, dem «lieben Herrn Voigt» die Zusammenarbeit anzubieten. Seine Hand sei weiterhin ausgestreckt für eine «bürgerlich-konservativ-patriotische Wende in Thüringen». Voigt lehnte ab: «Ich bin demokratisch, Sie sind autoritär.»

Das aber war schon das Ende eines ebenso bemerkenswerten wie erkenntnisreichen Abends, der mit einer typischen Schelte der EU durch den AfD-Politiker begonnen hatte. Die Europäische Union sei eine «Globalisierungsagentur», sie stehe für ein Europa der Lobbyisten, Bürokraten und Grosskonzerne, für Bürokratie und Deindustrialisierung. Deshalb müsse Deutschland «diese EU» verlassen und sich für einen lockeren Bund souveräner Staaten einsetzen. Später schwächte Höcke die Forderung ab und sprach von einer «reduzierten EU». Voigt stellte die ökonomischen Schäden heraus, die Deutschland bei einem Austritt drohten, und entgegnete dem einstigen Geschichtslehrer: «Sie brechen das Rückgrat der stärksten Exportnation, die es innerhalb Europas gibt.»

In die Defensive konnte der AfD-Politiker seinen Kontrahenten treiben, als dieser sich am migrationspolitischen Spagat versuchte und plötzlich fast wie Höcke klang. «Wer sich an unsere Leitkultur hält, der bleibt, und wer das Recht verletzt, der geht,» versprach Voigt und forderte «null illegale Migration in Deutschland», ein konsequentes Rückführen und einen starken Schutz der Aussengrenzen. All dies freilich dürfte einen thüringischen Kabinettschef ebenso überfordern wie eine Oppositionspartei im Bund. Höcke musste da nur an die Willkommenspolitik der christlichdemokratischen Kanzlerin Angela Merkel erinnern und setzte einen Wirkungstreffer: «Sie haben das Land mit Ihrer Migrationspolitik an den Rand des Kollaps geführt.»

Voigt sprich von «Reichskanzler Höcke»

Voigt wollte sich aus der diskursiven Umklammerung durch einen Griff ins untere Begriffsregister befreien. Unvermittelt, gewiss nicht unvorbereitet titulierte er den Nebenmann als «Reichskanzler Höcke», der mit seinen Abschottungsplänen «Gift für das Land» sei. Das blieb nicht ohne Effekt. Der «miserable Zustand des Landes», entgegnete Höcke, und die mangelnde Attraktivität für wirkliche Fachkräfte liege doch nicht an der AfD, sondern an der hohen Steuerlast, der überbordenden Bürokratie und der eingegrenzten Meinungsfreiheit.

Dann aber stieg, um dem Titel seines Buches von 2018 abzuwandeln, Höcke hinab in den Fluss des unbelehrbaren Demagogen, der eine Erinnerungsschwäche vortäuscht, um Selbstkritik zu vermeiden. Die Moderatoren Tatjana Ohm und Jan Philipp Burgard sprachen ihn auf seine Formulierung aus «Nie zweimal in denselben Fluss» an, die in Hamburg geborene SPD-Politikerin Aydan Özoguz habe «nichts in Deutschland verloren», wenn sie, wie 2017 von ihr behauptet, eine spezifisch deutsche Kultur jenseits der Sprache nicht erkennen könne.

Da blieben Höcke nur Trotz und Mimikry: Den Kontext der Aussage habe er nicht parat. Sehr wohl zur Hand hatte er aber, zwanzig Minuten später, eine Forderung, die bisher von keinem AfD-Programm gedeckt ist: «Wir müssen die Einwanderung aus dem islamischen Kulturkreis beenden.» Themenkreis war an dieser Stelle der auch durch zugewanderte Muslime wachsende Antisemitismus in Europa.

Wer konnte mehr profitieren?

Natürlich wurde Höcke von den Moderatoren streng befragt, warum er in einer Rede die Parole «Alles für Deutschland» verwendet habe, die ein Leitspruch der nationalsozialistischen SA war. Höcke beteuerte mehrfach, dieser historisch belastete Gebrauch sei ihm nicht geläufig gewesen. Es handele sich um einen «Allerweltsspruch», den bereits die Zentrumspartei, die Deutsche Telekom und Franz Beckenbauer verwandt hätten.

Angesichts dieser riskanten Verteidigungsstrategie war es überraschend, dass Höcke die Verbrechen der Nationalsozialisten bemerkenswert klar einen «Zivilisationsbruch» nannte, «das stellt niemand im Abrede». In der Erinnerungskultur dürfe der Holocaust nicht ausgeblendet werden. Den Mittelpunkt eines «natürlichen, vitalen Patriotismus» hätten aber «die grossen Wohltäter und genialen Menschen des eigenen Volkes» zu bilden. Voigt konterte kühl: «Wir Deutschen haben einen modernen Patriotismus. Wir haben ein konservatives Bild von unserem Land, aber wir haben eine hoffnungsfrohe Idee.» Höcke biete nur «verquaste geschichtsphilosophische Ausführungen, die am Ende ins Nirgendwo führen».

Das Fazit des Abends hängt von Standpunkt des Betrachters ab. Mario Voigt hat sich als bedächtiger, stellenweise behäbiger Herausforderer in Stellung gebracht, der Höcke zu attackieren weiss, ohne dessen Wähler herabzuwürdigen. Entscheidend für seine Wahlchancen dürfte sein, inwieweit die Thüringer ihm die Rolle des geläuterten Merkelianers abnehmen.

Höcke zeigte ein Nebeneinander von Nachdenklichkeit und Aggressivität, von Sendungsbewusstsein und Polemik, wie sie typisch ist für eine rechte Opposition, die die eigene Echokammer zu bewirtschaften versteht und diese zugleich überwinden möchte. Ganz ungeklärt freilich bleibt die entscheidende Frage: Mit wem wollen, mit wem könnten AfD oder CDU jeweils zusammenarbeiten, um sich den Traum von der Erfurter Staatskanzlei zu erfüllen, in der derzeit ein linker Ministerpräsident thront? Denn gewählt mögen zwar Personen werden, regieren aber müssen Parteien.

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