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Jonas Vingegaard: Der Junge aus der Fischfabrik

Jonas Vingegaard Der Junge aus der Fischfabrik
Es war ein denkwürdiges Duell. Ein angeschlagener Überathlet gegen einen, der perfekt optimiert ist und ganz gewissenhaft einen Überwältigungsplan umsetzt. Spielendes Kind gegen Disziplin-Monster.
Jonas Vingegaard (r.) geriet gegen Tadej Pogacar selten in Gefahr.

Jonas Vingegaard (r.) geriet gegen Tadej Pogacar selten in Gefahr.

Foto: imago/Vincent Kalut

Der Däne hatte zum zweiten Mal das bessere Ende für sich. Er anerkannte auch: »Tadej ist der beste Radprofi der Gegenwart.« Genau das aber machte seinen Triumph noch größer. Denn er, Jonas der Stille und Unscheinbare, hatte Tadej, den munteren Alleskönner, bezwungen. »Ich bin ein Fan von Pogacar«, gestand auch der sonst gar nicht so auf andere Rennställe schauende Chef des Bora hansgrohe-Teams, Ralph Denk, an einem dieser Tour-Tage. »Denn Pogacar macht es wie die Großen früher, wie ein Eddy Merckx etwa. Er tritt zu den Klassikern an, misst sich da mit den Besten, und fährt dann zur Tour de France, um sich dort mit den Besten zu messen. Er fährt Rennen aller Art und bereitet sich nicht nur einzig und allein auf die Tour de France vor«, meinte Denk.

Tom auf Tour

FOTO: PRIVAT

Tom Mustroph, Radsportautor und Dopingexperte, berichtet zum 22. Mal für »nd« von der Tour de France.

Genau das aber, diesen Schmalspuransatz, mit der Konzentration nur auf die Tour de France, vertrat Vingegaard. »Seit Dezember schon hat sich unser Performance-Team damit beschäftigt, wie wir diese Tour de France gewinnen können«, ließ Vingegaard durchblicken. Den Plan, den Coaches, sportliche Leiter, Ernährungsprofis und Materialtüftler entwickelten, fasste Rennstallchef Richard Plugge dann so zusammen: »Wir mussten uns etwas einfallen lassen, um Pogacar zu brechen. Wir mussten ihn beständig unter Druck setzen«, sagte er »nd«.

Und für alle, denen die Gewaltigkeit dieser Aufgabe nicht bewusst war, eben den Überfahrer der aktuellen Radsportgeneration an den Rand seiner Kräfte zu führen, für den hatte Plugge dieses Bild: »Es ist, wie wenn man Holz sägt. Man sägt und sägt, und irgendwann schließlich bricht es.« Die Sägezähne hießen Sepp Kuss und Wout van Aert, Tiesj Benoot und Wilco Kelderman. Der letzte, der schärfste Zahn war dann Vingegaard, der den letzten, den entscheidenden Schnitt machte. Und dann, wenn es knackt, und der Stamm durch ist, kämen auch die großen Abstände, fand Plugge wieder zurück den Weg in den Radsport.

Der Moment des Knackens war wohl das Zeitfahren, als Vingegaard Pogacar 1:38 Minuten abnahm. »Da hat mich Jonas am meisten überrascht bei dieser Tour«, sagte Arthur van Dongen, sportlicher Leiter von Jumbo-Visma zu »nd«. Er lobte auch die mentale Kraft seines Ausnahmefahrers, der sich eben nicht davon beunruhigen ließ, dass Pogacar der Explosivere am Berg war und ihn immer wieder in den Schatten stellte. »Wir hatten einen Plan und dem vertraute ich, selbst wenn ihn manche Leute außerhalb des Teams nicht verstanden haben«, setzte Vingegaard in der Abschlusspressekonferenz eine kleine ironische Spitze. Aber er glaubte daran, dass es funktionieren würde. »Es war uns klar, und es war auch Jonas klar, dass eine Grand Tour in der Regel in der dritten Woche entschieden wird«, meinte van Dongen.

Den Rivalen im Lager von UAE war das auch klar. »Uns war bewusst, dass drei Wochen Trainingszeit, die Tadej nach seinem Sturz bei Lüttich-Bastogne-Lüttich, der anschließenden Operation und Rehabilitation hatte, zu kurz für eine Grand Tour war. Das kann für ein einwöchiges Rennen reichen, aber nicht für die Tour de France«, meinte Rennstallchef Mauro Gianetti zu »nd«. »Wir haben uns dann in den ersten Tagen, als Tadej so stark war, der Illusion hingeben lassen, dass es doch klappen könnte«, meinte der Italo-Schweizer, und lächelte melancholisch. Dann aber meldete sich ganz brutal die Tour-Realität zurück. Pogacar schwankte und fiel schließlich. Für sein Rennfahrerherz spricht, dass er sich am Samstag die letzte Bergetappe holte. Jubelnd riss er die Arme in die Luft. »Jetzt bin ich endlich wieder ich«, rief er aus. Der Slowene hat die Tour zwar verloren, zum zweiten Mal hintereinander nun schon. Trotzdem war er die prägende Gestalt dieser Tour, mit seinem Angriffswillen, seinen Höhen und auch seinen Tiefen. Befürchten muss man, dass er die richtigen Schlüsse, die zugleich weniger Spektakel versprechen, aus dieser Tour de France zieht. »Ich liebe die Herausforderungen. Aber vielleicht muss ich sie auch ein wenig anders setzen«, meinte er nachdenklich zum Abschluss der Tour. »Das Frühjahr war sensationell für mich, mit den Siegen bei der Flandernrundfahrt und Paris-Nizza. Noch einmal die Tour de France zu gewinnen, ist aber auch eine große Herausforderung. Ich muss überlegen, was ich da ändern muss«, sagte er. Das wird im nächsten Jahr wohl sein Hauptfokus sein. Hat er dieses Ziel erreicht, wird er sich auch anderen zuwenden. Dem Giro d’Italia etwa. »Das ist ein Rennen, das ich sehr liebe, obwohl ich es noch nicht gefahren bin«, meinte er. Aber Giro und Tour in einem Jahr seien sehr schwierig, betonte er auch und verschob sein Italien-Debüt damit in eine fernere Zukunft. Vingegaard deutete auch Lust auf die anderen großen Rundfahrten an. Hauptziel aber bleibt die Tour, und jetzt das höhere Ziel, sie zum dritten Mal hintereinander zu gewinnen.

Zwei Mal hat er, der stille Bursche aus der Fischfabrik, sie nun schon gewonnen. Er hat alle überrascht damit, auch sich selbst. Er ist gewachsen, wie es kaum jemand für möglich gehalten hat. Großen Anteil daran hat Primoz Roglic. »Er sagte ihm schon 2020 im Höhentrainingslager, als sich beide auf die Vuelta vorbereiteten, dass er das Zeug habe, eine Grand Tour zu gewinnen«, erzählte van Dongen. Roglic, der Umsteiger vom Skispringen, der aus der Radsportprovinz Slowenien stammt, nahm dann den Youngster, der ebenfalls aus keiner Radsporthochburg kam, unter seine Fittiche. Er lehrte ihn, Rundfahrten zu fahren, den mentalen Stress zu bewältigen, den es neben der physischen Herausforderung nicht zu knapp gibt. Und Vingegaard, der zwar unscheinbar wirkt, aber unglaublich entschlossen sein kann, lernte und lernte. Seine Entschlossenheit stellte er übrigens auch im Privatleben unter Beweis: »Als ich ihn kennenlernte und er um mich warb, hielt ich ihn für 14, so still und jung wirkte er. Er blieb aber einfach hartnäckig«, erzählte Trine Hansen, neun Jahre älter als der Radsportler und seit zwei Jahren dessen Ehefrau. Für Ziele, die Jonas Vingegaard sich setzt, weiß er zu kämpfen. Nun fährt er zum zweiten Mal hintereinander im Gelben Trikot auf die Avenue des Champs Elysees.

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