Spotify Wrapped 2024: Ist der persönliche Jahresrückblick cool?
Pro und Kontra Lieblingsmusik –
Ist Spotifys personalisierter Jahresrückblick Wrapped cool?Immer Anfang Dezember präsentiert der Streamingdienst jedem User eine individuelle Hitliste. Das Tool ist ein Pop-Phänomen – mit unterschiedlichem Echo.
Nein. Dieser Jahresrückblick fördert nichts als die musikalische Konformität.
Matthias Schüssler
Man könnte Spotify Wrapped für ein harmloses Vergnügen halten: für eine charmante Einladung, das musikalische Jahr Revue passieren zu lassen und uns daran zu erinnern, welche Musiker, Künstlerinnen und Titel uns begleitet haben. Eine allzu romantische Sichtweise: Sie verkennt, wie berechnend die Techkonzerne geworden sind, bei denen es nie nur ums Privatvergnügen von uns Usern geht. Natürlich steht die Absicht dahinter, dass wir unsere persönliche Jahreshitparade in den sozialen Medien posten – dass wir uns mit unserem exquisiten Musikgeschmack auf Instagram, Facebook, X und in unseren Whatsapp-Gruppen brüsten und nebenbei kostenlose Werbung für Spotify betreiben.
Spotify Wrapped ist ein Auswuchs der sozialen Medien – und dem unerbittlichen Sog, mit dem sie alles Private in die Öffentlichkeit befördern. Vor dem Streamingzeitalter haben wir die CDs von Nirvana, Radiohead und den Beastie Boys zuvorderst ins Regal gestellt und die Platten von Chris de Burgh nach hinten verschwinden lassen. Weil schon damals der Musikgeschmack ein Teil der Persönlichkeit war, an dem wir uns messen lassen mussten.
Doch wehe, wenn wir heute etwas zu häufig auf Mark Forster, Ed Sheeran oder James Blunt klicken: Die Jahreshitparade wäre nachhaltig verhunzt. Ausser, wenn uns rechtzeitig die Ausrede einfällt, dass wir unser Abo teilen und irgendjemand aus der Familie für sämtliche Peinlichkeiten verantwortlich ist. Damit das glaubwürdig erscheint, ist es allerdings unerlässlich, rechtzeitig dafür zu sorgen, dass auch die Schwiizergoofe angemessen vertreten sind.
Wer nun findet, niemand müsse seinen Spotify-Jahresrückblick publik machen oder überhaupt selbst darauf schauen, der verkennt die Macht des «Chilling Effect». So nennt man die Tendenz von Menschen, ihr Verhalten anzupassen, wenn sie sich beobachtet fühlen. Auf Spotify übertragen, führt er dazu, dass wir vielleicht etwas weniger Joe Dassin hören, auch wenn wir uns danach fühlen. Und das geht wirklich nicht.
Sämtliche Musikbeispiele im Kontra-Text sind rein fiktiver Natur und dienen ausschliesslich illustrativen Zwecken.
Ja. Wrapped ist beste Unterhaltung.
Philippe Zweifel
Es ist wieder die Jahreszeit, wo die Social-Media-Feeds überquellen mit Ranglisten unserer meistgehörten Spotify-Songs. Die Wrapped-Analyse des Streamingdiensts, stets Anfang Dezember veröffentlicht, ist inzwischen zu einem soziokulturellen Phänomen und globalen Ereignis geworden.
Jedes Jahr überzeugt uns Wrapped davon, dass unser Musikgeschmack einzigartig ist, dass niemand ein grösserer Fan unserer Lieblingskünstler ist als wir selbst und dass das, was wir hören, etwas wirklich Tiefgründiges über unsere Persönlichkeit aussagt.
Es ist eine Art musikalische Psychoanalyse. Die Liste erinnert einen an Phasen im vergangenen Jahr. «Oh, genau, der Sommer mit Charlie XCXs ‹360› war toll» oder «stimmt, Anfang Jahr war ich traurig, da hab ich viel von den Ink Spots gehört». Bei Leuten, die ihre Listen in den sozialen Medien teilen, wird bisweilen ein bisschen Profilneurose sichtbar. «Ein Postpunk-Song auf Nummer 2, guckt, was für einen unkonventionellen Musikgeschmack ich habe!»
Es ist ein harmloser Spass, trotzdem – oder wahrscheinlich gerade deshalb – sind die Warner nicht weit. Der Musikgeschmack wird von Algorithmen nicht richtig wiedergegeben! Was ist mit dem Datenschutz? Druck durch soziale Medien! Ungewollte Blossstellung! Reduktion auf Konsum! Marketing statt Musik!
Leute, bitte den Fokus überprüfen. Es gibt weit bedrohlichere Onlineplattformen wie Google oder Amazon, die weit mehr über einen wissen wollen, als wie oft wir welche Songs abgespielt haben.
Ich finde Wrapped spassig und unterhaltend. Manchmal auch auf rührende Weise verbindend. Etwa, wenn ein Song meines Sohnes wegen des gemeinsamen Kontos in die Charts rutscht und er sich diebisch darüber freut, dass er mir einen seiner schrecklichen Hip-Hopper unterjubeln konnte.
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