Das Monster kehrt heim: Neymar löst den Vertrag mit al-Hilal auf
Der brasilianische Fussballer wird in Saudiarabien aussortiert. Nun will Neymar in seinem Jugendklub FC Santos die letzte Chance nutzen.
In Santos ereignete sich einst auch die Episode mit dem Monster. Der damals 18-jährige Neymar beschimpfte 2011 seinen Trainer Dorival Júnior, weil dieser einen anderen Fussballer dazu bestimmt hatte, einen Elfmeter auszuführen. Neymars Tirade war so ungebührlich, dass der Coach des Gegners Goianiense, René Simões, warnend sagte: «Wir sind dabei, ein Monster zu erschaffen.»
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Später erklärte Neymar einmal, diese Aussage habe bei ihm so starke Spuren hinterlassen wie keine andere Kritik: «Sie hätte meine Karriere vernichten können.» Doch die Fans standen damals auf Neymars Seite, und nach ein paar Tagen der internen Suspendierung wurde schliesslich nicht er entlassen, sondern der Santos-Trainer. Neymar hingegen blieb in der brasilianischen Hafenstadt ein Held. Und zwar so sehr, dass der Klub ihm auch nun Zuflucht gewähren will, da kaum noch jemand an den einstigen Superstar glaubt.
Mit Santos gewann Neymar die Copa Libertadores
Nun kehrt das Monster offenbar heim. Noch diese Woche, so berichten es brasilianische Medien, soll Neymar, 32, wieder einen Vertrag in dem Verein unterschreiben, in dem er gleichsam aufgewachsen ist. 136 Tore in 225 Matches erzielte Neymar zwischen seinem 17. und seinem 21. Lebensjahr für den Klub mit den schwarz-weiss gestreiften Jerseys und bescherte ihm unter anderem mit dem Gewinn der Copa Libertadores die erfolgreichste Ära seit Pelé. Bereits am Samstag vor dem Duell in der Regionalmeisterschaft gegen den FC São Paulo könnte Neymar seinen alten, neuen Fans präsentiert werden.
Das Engagement bei seinem bisherigen Klub al-Hilal jedenfalls ist offiziell bereits vorbei. In der Nacht auf Dienstag erklärte der saudische Verein, der Vertrag sei «in beidseitigem Einvernehmen» aufgelöst worden. Al-Hilal sprach dem Brasilianer, den der Klub vor anderthalb Jahren für 90 Millionen Euro Ablöse und rund 100 Millionen Jahreslohn von Paris Saint-Germain verpflichtet hatte, «Dankbarkeit und Anerkennung» aus. Wobei sich fragt, wofür. Insgesamt stand Neymar für al-Hilal wegen einer schweren Knieverletzung im Oktober 2023 und weiterer Blessuren nur 428 Minuten auf dem Platz.
Al Hilal and Neymar Jr. have agreed to terminate the player’s contract by mutual consent.
Thank you and good luck,Neymar ???? pic.twitter.com/9edCVWBGop
— AlHilal Saudi Club (@Alhilal_EN) January 27, 2025
Gar nur 42 Minuten waren es diese Saison, und dass al-Hilal den schillernden Star sogar schon vor der Klub-WM im Sommer ziehen lässt, mag einen Eindruck davon vermitteln, wie arg es um Neymar bestellt ist. Der Al-Hilal-Coach Jorge Jesus machte in letzter Zeit kein Hehl daraus, dass er für den Brasilianer keine Verwendung mehr hat. «Neymar kann nicht mehr die Leistungen bringen, die wir von ihm gewohnt sind», sagte der erfahrene Portugiese und strich den Rekordtorschützen Brasiliens aus seinem Kader für die zweite Saisonhälfte. Er sagte: «Physisch kann er dem Rhythmus des Teams nicht mehr folgen.»
Das saudische Championat ist keine Rentner-Veranstaltung mehr; es will die grossen europäischen Ligen herausfordern. In diesen wiederum dürfte Neymar als erledigt gelten, seit ihn bei Paris Saint-Germain mit Luis Enrique jener Trainer für überflüssig erklärte, unter dem Neymar zwischen 2014 und 2017 im FC Barcelona als Teil des legendären «Dreizacks» mit Lionel Messi und Luis Suárez die besten Jahre seiner Karriere erlebte. Als Option im Ausland bliebe allenfalls noch die gemütlichere US-Liga Major League Soccer (MLS). Freilich bietet Neymar eine Rückkehr zu Santos demgegenüber einen besonderen Vorteil: die Chance, seiner Karriere doch noch eine gelungene Erzählung zu geben.
Den letzten Tanz mit der Jugendliebe aufzuführen – das hat eine nostalgische Note; das könnte einen Werdegang veredeln, der in letzter Zeit immer verpfuschter wirkte; einen Sinn stiften, wo ausser Geld schon lange kaum noch ein anderer zu erkennen war. Seit er 2017 für die bis heute gültige Rekordsumme von 222 Millionen Euro aus Barcelona nach Paris wechselte, wirkte Neymars Laufbahn wie eine Abfolge schlechter Entscheidungen, immer häufigerer Eskapaden und immer schwerwiegenderer Verletzungen. «An manchen Tagen wollte ich aufgeben», sagte Neymar im vergangenen Jahr zu seiner Gefühlslage: «Ich spürte nur Schmerzen, ich wollte nur, dass es aufhört.»
Die Sätze stammen aus einer jüngst ausgestrahlten Netflix-Doku über die saudische Fussballliga. Wo es schon keine Tore und Dribblings von Neymar zu zeigen gab, sollte wenigstens der Kampf um das Comeback zu einem Epos gestylt werden, das die gewaltige Investition in ihn amortisiert hätte. Die Verbannung aus dem Kader machte die Story unmöglich. Neymar lohnte sich in Saudiarabien offenbar nicht einmal mehr kommerziell.
Im Video sehen Sie einige von Neymars besten Spielszenen, als er noch für den FC Barcelona kickte.
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Im FC Santos könnte sich ein Kreis schliessen
In seiner Heimat könnte das anders sein. Wie es heisst, soll Santos’ Klubpräsidium die Sponsoren dazu animiert haben, die Dotierung der laufenden Verträge aufzustocken. Der Trikot-Ausrüster soll seine Produktionsmaschinen schon auf höhere Umdrehungen gestellt haben. Zudem kursiert das Gerücht, wonach Neymar und sein Vater und Manager zusammen mit einem Investorenfonds an einer Übernahme von Klubanteilen arbeiten. Alle diese Massnahmen sollen der Finanzierung eines standesgemässen Gehalts für Neymar dienen. Auch insofern würde sich in Santos ein Kreis schliessen: Denn mit kreativem Marketing fing alles einst an.
Bereits als Teenager war Neymar so gut und sein Vater so geschäftstüchtig, dass sie eigentlich zu gross für die brasilianische Liga waren. «Für viele Leute ist Neymar wie ein Naturereignis», sagte Neymar senior damals: «Aber das stimmt nicht: Wir haben das mit ihm von jungen Jahren an kreiert.» Mit 11 Jahren ging der Bursche bereits wöchentlich zum Friseur, mit 13 leierte der Vater dem Verein eine Million Reais (damals rund 350 000 Euro) aus der Kasse, damit der Jungspund nicht schon in diesem Alter einem Angebot aus Europa folgte.
Fortan perfektionierten Vater und Sohn das Profitmuster: Ein persönlicher Sponsoren-Pool machte Neymar zum ersten Profi in Brasilien mit einem monatlichen Millionengehalt und zögerte den Wechsel über den Atlantik noch hinaus, bis der Kicker 21 war. Die Bewerber spielte der Vater dann derart geschickt gegeneinander aus, dass beim Transfer nach Barcelona 2013 letztlich rund 69 Millionen Euro auf das Konto der Neymars flossen – und nur 17 auf das von Santos. Jahrelange Gerichtsprozesse und ein Rücktritt des Klubpräsidenten in Barcelona zählten zu den Folgen dieses Deals.
Der Vater Neymar hatte als einer der Ersten begriffen, dass Superstars grösser sein können als ihre Vereine – damit trieb er Letztere bisweilen in den Wahnsinn. Sein Sohn flankierte den Zirkus durch üppige Forderungen nach Privilegien für sich und seine Entourage, wobei er einen ausgeprägten Party-Trieb entwickelte. Von seinem Lebenswandel wurde allerdings niemand so sehr geschlaucht wie er selbst. Termine, Shootings, Discos: Früh lag der Verdacht nahe, dass er diesen Rhythmus nicht ewig würde durchhalten können. So überrascht nun kaum, dass er mit 32 bereits wesentlich verbrauchter wirkt als ältere Stars wie Lionel Messi, 37, Robert Lewandowski, 36, oder Cristiano Ronaldo, 39.
Die einzige Versöhnung? Der Weltmeistertitel 2026
Kann er nun wenigstens in seiner Heimat noch einmal der «menino de oro» sein, der Goldjunge? Der charismatische Verführer, der zur Heim-Weltmeisterschaft 2014 mit Gisele Bündchen von Mario Testino fotografiert wurde? Der brillante, trickreiche Fussballer, den Pelé zu seinem Erben erklärte und Teenager wie Lamine Yamal zu ihrem Vorbild? Im Prinzip gibt es nur eine Möglichkeit, den Verlauf von Neymars Karriere noch in Einklang mit dem Versprechen seines Talents zu bringen: den Titel an der WM 2026 in Nordamerika.
«Ich weiss, dass es meine letzte Weltmeisterschaft ist, mein letzter Schuss, meine letzte Chance», erklärte er unlängst im TV-Sender CNN. Mit acht Toren und vier Assists in dreizehn Spielen hat er an seinen drei Endrunden bisher nicht enttäuscht. 2014 wurde er im Viertelfinal vom Kolumbianer Juan Zúñiga brutal aus dem Turnier getreten; 2022 schied Brasilien ebenfalls im Viertelfinal gegen Kroatien im Penaltyschiessen aus – nachdem Neymar in der Verlängerung noch das Führungstor erzielt hatte. Seit Neymars verletzungsbedingtem Ausfall stolpert die Seleção von Blamage zu Blamage, nun muss die Auswahl sogar um die WM-Qualifikation bangen. Der derzeitige Nationaltrainer betont denn auch, dass er auf Neymar warten werde – es ist kurioserweise Dorival Júnior, der Santos-Coach der Monster-Affäre.
Aus Santos war derweil zu vernehmen, dass der Klub Neymar ein Video geschickt habe, in dem eine mit KI simulierte Stimme des verstorbenen Pelé die Gründe aufgelistet habe, weshalb es nun Zeit sei, heimzukehren. Neymar soll das sehr gut gefallen haben, angeblich möchte er sein neues Domizil in dem Luxusviertel Morro Santa Teresinha finden, in dem auch Pelé gewohnt hat.
Von den Fans bei al-Hilal verabschiedete er sich derweil mit dem Geständnis, er hätte «gern bessere Momente zusammen erlebt». Dazu sagte er schmeichelnd, «das wahre Saudiarabien» kennengelernt und «Freunde fürs Leben» gefunden zu haben: «Eure Zukunft wird unglaublich, es passieren besondere Dinge, ich werde immer auf eurer Seite stehen.» Was man halt so sagt, wenn man für die Vertragsauflösung sicher noch eine stattliche Abfindung eingestrichen hat und künftig als Botschafter der WM 2034 in Erscheinung treten will.
Neymar geht in Frieden aus Riad und, soweit bekannt, ohne Gerichtsverfahren. In Saudiarabien hat er nur ein einziges Tor erzielt. Mit einem Gesamtpreis von rund 250 Millionen Euro war es das teuerste der Fussballgeschichte.