Nestlé wächst wieder, die Aktie fällt trotzdem
Das Wachstum ist zurück, die Aktie fällt trotzdem: Das wertvollste Unternehmen der Schweiz verärgert die Anleger mit seinen jüngsten Zahlen.
Wie gut die Zeiten doch waren, als Mark Schneider noch frisch im Amt war. Dem CEO von Nestlé schien in den Jahren nach seinem Antritt einfach alles zu gelingen. Er baute den Nahrungsmittelkonzern um, machte ihn schneller, effizienter. Auch die Pandemie steckte Nestlé weg. Belohnt wurde das mit mehr Umsatzwachstum und mehr Gewinn, und das wiederum machte die Anleger glücklich. Ende 2021 erreichte der Nestlé-Aktienkurs einen Höchststand von knapp 130 Franken.
Heute, mehr als sieben Jahre nach Schneiders Antritt, sieht es anders aus. Nestlé, das wertvollste Unternehmen der Schweiz, hat einige Probleme. Mit der Konsumflaute der vergangenen Jahre stagnierte das Wachstum. Und auch der Aktienkurs bewegt sich seit einem Jahr nur noch in eine Richtung: nach unten.
CEO Mark Schneider braucht deshalb dringend einen Erfolg. Nur: Die am Donnerstag präsentierten Halbjahreszahlen lieferten ihn nicht.
Die Party verdorben
Dabei sind die Zahlen eigentlich gut, Nestlé wächst wieder. Von Januar bis Juni erzielte das Unternehmen einen Umsatz von 45 Milliarden Franken, wechselkursbereinigt entspricht das einem organischen Wachstum von 2,1 Prozent. Das Problem: Die Analysten hatten mehr erwartet.
Nestlé erklärt das langsamere Wachstum mit den Preiserhöhungen, die deutlich zurückgegangen seien. Im ersten Halbjahr lagen sie durchschnittlich bei 2 Prozent. Positiv hingegen entwickelte sich das Volumenwachstum. Mit 0,1 Prozent liegt es über den Erwartungen der Analysten. Die operative Gewinnmarge liegt bei 17,4 Prozent.
Wegen des langsameren Preisanstiegs korrigiert Nestlé seine Erwartungen an das Wachstum für das laufende Geschäftsjahr nach unten, von 4 auf 3 Prozent. Die Nestlé-Aktie reagierte negativ. Sie gab zeitweise um 5 Prozent nach und notierte kurz nach Handelsstart unter 89 Franken.
Verhalten äusserten sich auch die Finanzanalysten. Für Jean-Philippe Bertschy von der Bank Vontobel ist das Volumenwachstum zwar erfreulich, doch die nach unten korrigierte Jahresprognose habe «die Party verdorben». «Unserer Meinung nach bestraft der Markt nun die Guidance des Managements», sagt Bertschy weiter.
Ähnlich klingt es bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB). Der Analyst Patrik Schwendimann sagt: «Bei einem defensiven Supertanker wie Nestlé sind es sich die Investoren nicht gewohnt, dass die Jahresziele gesenkt werden müssen.»
Hausgemachte Probleme
In jüngster Zeit wurde oft negativ über Nestlé berichtet. So entwickelte sich die Sparte Health Science mit ihrem Fokus auf Vitamine und Nahrungsergänzungsmittel lange Zeit unterdurchschnittlich.
Dann musste der Konzern eingestehen, dass er in Frankreich und in der Schweiz jahrelang illegale Aufbereitungsmethoden für natürliches Mineralwasser verwendet hatte. Und schliesslich kam auch Kritik an der Babynahrung auf: Nestlé setze dieser in Schwellen- und Entwicklungsländern Zucker zu, während dies in Europa nicht der Fall sei. Nestlé widersprach den Vorwürfen, unangenehm blieben sie dennoch.
Laut Einschätzungen der Analysten könnte es allen Schwierigkeiten zum Trotz für Nestlé bald wieder aufwärtsgehen. Jean-Philippe Bertschy von Vontobel ist überzeugt, dass Nestlé auf dem richtigen Weg ist, durch Innovationen wieder nachhaltig zu wachsen. Und Patrik Schwendimann von der ZKB sagt: «Nestlé muss jetzt liefern. Lieber tief ansagen und übererfüllen als umgekehrt.» Das Halbjahresergebnis sei ein Schritt in die richtige Richtung.
Kaffee und Tierfutter laufen am besten
Unter dem Strich bleibt Nestlé eine bemerkenswert profitable Firma: Der Reingewinn aus den ersten sechs Monaten beträgt 5,6 Milliarden Franken. Die am stärksten wachsenden Kategorien sind Kaffee, darunter Nescafé und Nespresso, sowie die Tierfutterlinie Purina. Sie sind mittlerweile auch die wichtigsten Sparten des Konzerns. Und trotz zunehmender Kritik an den zuckerlastigen Produkten von Nestlé hat sich auch das Süsswarengeschäft gut entwickelt: Der Umsatz stieg laut Mitteilung im hohen einstelligen Bereich.
Der Finanzanalyst der ZKB geht davon aus, dass Nestlé sein Portfolio in Zukunft wieder vermehrt umbauen wird, indem es sich etwa vom noch verbleibenden Wassergeschäft und vom Tiefkühlgeschäft in den USA trennt. Einen stärkeren Fokus auf die bereits attraktiven Bereiche Kaffee und Tierfutter würden die Anleger positiv aufnehmen, heisst es.
Bereits im Frühling hatte Nestlé mitgeteilt, dass man das laufende Jahr als Übergangsphase betrachte. 2025 wolle man wieder in der gewohnt alten Stärke auftreten. Spätestens dann dürften auch die von Mark Schneider dringend benötigten Erfolge zurückkehren.