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Lukas Foerster Filmkritik zu "Megalopolis" von Francis Ford ...

Lukas Foerster Filmkritik zu Megalopolis von Francis Ford
Lukas Foerster: Im Kino vom 24.09.2024
Eine Vision in Gold. Warmes, weiches Licht durchweht Francis Ford Coppolas "Megalopolis", einen Film, in dem nichts handfest ist und der uns doch dazu auffordert, den schönen Schein, den er entfaltet, beim Wort zu nehmen. Golden sind die Zwischentitel, gestaltet im Stil antiker Marmorplatten - New Rome heißt die das Zentrum der Spielhandlung bildende Stadt, die bald Megalopolis werden soll, vorläufig noch. Auch die beiden zentralen Figuren des Films tragen einschlägige Namen: Cesar (Catilina) und (Franklyn) Cicero. Wobei das New Rome des Films keineswegs mehr die selbstbewusste Imperiumshauptstadt ist, die Julius Cäsars Rom im ersten Jahrhundert vor Christus war. Eher befinden wir uns im Zeitalter einer neu-spätrömischen Dekadenz. Auf den Straßen gärt der Aufstand, während die Mächtigen sich mitsamt Drogen und Gespielinnen in ihrem - goldenen - Wolkenreich vergnügen.

Golden leuchtet auch der Horizont, wenn Cesar Catilina, hoch oben auf einem Wolkenkratzer balancierend, die Zeit anhält. Mithilfe eines Elements namens Megalon vermag er Zeit und Raum zu manipulieren; er wird, mit anderen Worten, zum Filmregisseur. Dass der von Adam Driver verkörperte neue Cesar als alter ego seines Schöpfers, des "Megalopolis"-Regisseurs Francis Ford Coppolas, angelegt ist, versucht der Film in keiner Sekunde zu verbergen. Coppolas neuester Streich ist ein cine-archtitektonsches Manifest - errichtet auf aufregend unsicherem Grund.

Schwankt das Gerüst oder wackelt das Modell? Früh im Film vollführt der neue Cesar einen wortwörtlichen Drahtseilakt. Auf unsteten, verdächtig knirschenden Brettern, die eher behelfsmäßig als solide mehrere Meter über dem Boden und einer dort ausgestellten architektonischen Miniatur befestigt sind, präsentiert der Architekt und Traumtänzer, in seiner Funktion als Leiter der "Design Authority" New Romes, das Projekt Megalopolis. Wo jetzt noch anonyme, von sich selbst und ihrer Umgebung entfremdete Massen durch von grellen Neonwerbetafeln illuminierte Straßen hetzen, soll, wenn es nach Cesar geht, bald eine Stadt von morgen entstehen, eine Stadt, die sich nicht am Niedersten, Vulgärsten, sondern am Besten, Edelsten der Menschen orientiert. Eine Stadt, die endlich den Anspruch der Aufklärung einlösen wird, den Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu erlösen.

Allein: Glauben wir's ihm? Das angekündigte Urbanismusexperiment ist nicht nur, darauf verweist der Film immer wieder, demokratisch nicht legitimiert, Cesar selbst ist außerdem ein denkbar halbseidener Utopist. Kein schmieriger Populist wie sein oben erwähnter Widersacher Franklyn Cicero (verkörpert von einem grandios chargierenden Giancarlo Esposito), der Bürgermeister New Romes, und schon gleich gar kein kalt kalkulierender Technokrat, eher ein abgehalfterter Showman, dessen nervös verspulte Masche auf einem schäbigen Provinzjahrmarkt besser aufgehoben wäre als auf der großen Bühne der Politik. Man wäre verrückt, ausgerechnet einem wie ihm die Zukunft der menschlichen Gemeinschaft anzuvertrauen. Aber genau dazu fordert uns der Film auf: zu einem Akt des Glaubens ohne Netz und doppeltem Boden. Auf Cesars nicht allzu soliden Schultern lastet nichts weniger als das Gewicht der gesamten Welt. Wenn er es nicht schafft, schafft es niemand.

Man kommt kaum umhin, die Szene auf dem Gerüst als eine Selbstbeschreibung des Films zu lesen. Auch der ist ein permanenter high wire act und außerdem das Werk eines Einzelnen, von dem man nicht (mehr) so richtig weiß, ob er ein Genie, ein Wahnsinniger oder beides gleichzeitig ist. Auch im Fall von Coppolas "Megalopolis" scheinen sich Anspruch und Wirklichkeit, Idee und Realisierung, nicht so ohne weiteres unter eine Decke bringen zu lassen. Was natürlich, auf die eine oder andere Art, für jeden Film gilt. Klappern gehört zum Handwerk und Kino ist sowieso, nicht zuletzt das macht es zur größten aller Kunstformen, immer nur Schall und Rauch. Dennoch wirkt "Megalopolis" noch ein ganzes Stück weniger handfest, als alle Filme es eh immer schon sind. Seit Jahrzehnten ein Traumprojekt Coppolas, konnte der Regisseur die Architektensaga erst lange nach dem Ende seiner "richtigen" Hollywoodkarriere verwirklichen - nicht mit Studiogeld, sondern hauptsächlich aus eigenen Mitteln, mithilfe der Millionen, die seine kalifornischen Weinberge abwerfen. Die Produktion war, heißt es zumindest hier und da, von Querelen - und Anschuldigungen bezüglich übergriffigen Verhaltens des Regisseurs gegenüber weiblichen Extras - begleitet, auf die Premiere folgte ein durchwachsenes Medienecho, dass der Film auch nur einen substantiellen Teil seiner 120 Millionen schweren Produktionskosten einspielen kann, glaubt kaum jemand.

Ein gescheiterter Film also? Nach den Maßstäben der Industrie vermutlich schon, aber wen kümmern die schon. Filme sind - zum Glück - nicht komplett durchsichtig auf ihre Produktionsgeschichten. Sondern, eben, in erster Linie Illusionskunst. Manches an "Megalopolis" mag in der Tat unbeholfen wirken, gelegentlich hat man den Eindruck, dass Coppola Bewegungskinostadards wie etwa Autoverfolgungsjagden fast schon mit Absicht versemmelt… und auch die Besetzung hat Schwächen - Nathalie Emmanuel insbesondere bleibt als Cesars Love Interest Julia Cicero blass. Vor allem freilich, weil Aubrey Plaza als mit jeder Kamera flirtende Vulgärglamourqueen Wow Platinum (allein der Name!) keine zweite erotische Attraktion neben sich duldet. Auch die libidinöse Architektur ist spektakulär ins Kraut geschossen in Coppolas Neuestem…

So oder so: Man kommt diesem eigenartigen Film, glaube ich, nicht auf die Schliche, wenn man ihn als ein unvollendetes Epos beschreibt, seine disparat anmutenden, sich ornamental, in Split-Screens und Spiegelungen vervielfältigenden Bilder als die kläglichen Überreste einer abwesenden größeren, vollkommenen Vision betrauert. "Megalopolis" ist nicht Coppolas "Gangs of New York". Das Windige, Windschiefe ist in ihm ist von Anfang an angelegt - weil "Metropolis" nicht in die Vergangenheit blickt, sondern eine Wette auf die Zukunft abschließt.

Wobei die Sache noch ein wenig komplizierter ist. Die Vergangenheit des Kinos nämlich schwingt durchaus auch mit in "Megalopolis", und nicht zu knapp. Wenn der Westentascheinimpressario Cesar sich, einigermaßen ungelenk, hinter einem schwarzen Cape in Szene setzt, denkt man an die Vampire des klassischen Horrorfilms - einer von zahlreichen filmhistorischen Verweisen, die Coppola, dessen Kino seit jeher in popkulturellen Mythen schwelgt, in seinem lang erwarteten neuen Streich unterbringt. Die meisten verweisen zurück auf die ersten Jahrzehnte der Filmgeschichte, auf eine Zeit, als dem Kino Expressivität noch wichtiger war als Realismus, als über Häuserwände flackernde Schattenspiele von namenlosen Gräueln kündeten. Retrofuturismus ist leider ein eher abgegriffener Begriff, aber er passt doch recht gut auf "Megalopolis" - auf diesen Versuch Coppolas, die gesamte Geschichte der Illusionsmaschine Kino zu mobilisieren, um der populären Kultur endlich wieder eine Idee von Zukunft zu schenken, die sich nicht in dystopischer Angstlust, in pompösen Untergangsfantasien suhlt.

Und wie sieht sie nun aus, Coppolas Idee von Zukunft? Auf den ersten Blick irritierend gegenwärtig. Das Büro, in dem Cesars Megalopolis-Team mithilfe von Pappmache-und-Bindfadenmodellen die zukünftige Metropole plant, könnte auch eine Arbeitsstätte bundesdeutscher Jungkreativer sein. Und wenn wir später im Film tatsächlich ein paar Blicke auf die "realisierte" (das heißt: computeranimierte) Megalopolis-Fassaden werfen dürfen, schauen sie mit ihren geschwungenen Glasfassaden und dem vielen Grün drum herum nicht viel anders aus als einschlägige Hochglanz-Architekturprospekte. Tatsächlich wird in "Megalopolis" die Welt von Morgen noch von USB-Sticks geladen, manche der zahlreichen digitalen Gadgets und Ostereier, die Coppola großzügig über seinem Film verteilt, könnten einem Computerspiel der 1990er oder einer Studio-Babelsberg-Produktion der Nullerjahre entsprungen sein: "Æon Flux", "Speed Racer", solches Zeug. Den Verdacht der Schaumschlägerei können weder Cesar Catilina noch Francis Ford Coppola auch zum fast schon messianischen Ende hin keineswegs zerstreuen. Beziehungsweise: gerade da nicht. Das wäre die letzte Pointe dieses wunderhübsch durchgeknallten Films: Je fragwürdiger seine zentrale Utopie erscheint, desto reicher wird belohnt, wer dennoch an sie glaubt.

Lukas Foerster

Megalopolis - USA 2024 - Regie: Francis Ford Coppola - Darsteller: Adam Driver, Giancarlo Esposito, Nathale Emmanuel, Aubrey Plaza, Shia LaBeouf, Jon Voiht, Laurence Fishburne - Laufzeit: 138 Minuten.

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