„Durch den Gesang verstand Angelina die Figur der Maria Callas“
Am 16. September 1977 stirbt Maria Callas (Angelina Jolie) in Paris, zurückgezogen in ihrem Apartment, umgeben von Erinnerungen. Ihr Ruhm ist verblasst, die großen Bühnen liegen hinter ihr, und ihre Stimme, einst legendär, hat sie verloren. Ein imaginäres Fernsehteam taucht auf, stellt Fragen, die alte Wunden aufreißen, aber auch glanzvolle Momente wieder aufleben lassen. Während Callas durch Paris streift, wächst in ihr der Gedanke an ein Comeback: Noch einmal auf der Bühne stehen, noch einmal den Applaus spüren.
Doch was ist Realität, was Einbildung? Regisseur Pablo Larraín spielt mit diesen Grenzen. Das Paris der 70er Jahre erscheint in grobkörnigen 16mm-Aufnahmen oder in gestochen scharfen Schwarz-Weiß-Bildern, die Callas’ leidenschaftliche Beziehung zu Aristotle Onassis wieder aufleben lassen. Der Film gleitet durch diese surreale Welt wie eine Operninszenierung: Räume wirken wie Bühnenbilder. In den Straßen von Paris singen Passanten spontan Arien vor dem Eiffelturm – als hätte Callas’ Magie die Stadt erfasst. Die herbstliche Atmosphäre unterstreicht die Vergänglichkeit des Moments. Der chilenische Regisseur Larrain sprach mit der „Tagespost" über seinen neuen Film.
Nach „Jackie“ (2016) und „Spencer“ (2021) über Jackie Kennedy und Lady Diana: Ist „Maria“ Teil einer Trilogie? Und warum haben Sie sich für Maria Callas entschieden?
Es handelt sich nicht um eine geplante Trilogie, sondern um eine natürliche Entwicklung. Ich wurde eingeladen, „Jackie“ zu drehen, dann folgte „Spencer“. Callas ist für mich eine faszinierende Figur, weil ich mit ihrer Musik aufgewachsen bin. Ich bin mit meiner Mutter oft in die Oper gegangen, und Callas war immer das Idol, das Unerreichbare. Ihr Leben war geprägt von Leidenschaft, Schmerz und Kunst – das macht sie so interessant für einen Film.
Obwohl es einige Rückblenden gibt, konzentriert sich der Film auf die letzten Momente ihres Lebens. Warum?
Ich fand es spannend, Callas in dieser Phase zu zeigen – einem Moment, in dem sie zurückblickt. Ihr Leben war voller Hingabe für andere: das Publikum, ihre Familie, ihre Freunde. Sie gab alles für die Kunst, aber irgendwann hatte sie nichts mehr übrig. In diesen letzten Tagen kehren all die Erinnerungen zurück, als würde sie noch einmal durch ihr eigenes Leben reisen. Sie hatte ihre Stimme, ihre große Liebe, Freunde verloren. Allein mit sich selbst, mit Medikamenten gegen die Einsamkeit kämpfend, stellt sie sich ihrer Vergangenheit. Und dann gibt es diesen einen Moment, diesen Gedanken: „Kann ich noch einmal singen?“
"Sie gab alles für die Kunst,aber irgendwann hatte sie nichts mehr übrig"
Was war Ihr Konzept?
Ich wollte, dass der Film selbst wie eine Oper funktioniert – in seiner Struktur, seiner Bildsprache, seiner Emotionalität. Oper ist Drama, und Callas war die Verkörperung dieses Dramas. Callas lebte durch ihre Stimme – und als sie ihre Stimme verlor, verlor sie sich selbst.
Wie kam die Entscheidung, Angelina Jolie für die Rolle zu besetzen?
Für mich war es von Anfang an klar, dass Angelina die perfekte Wahl ist. Es gibt eine Verbindung zwischen ihr und Callas – zwei Frauen von weltweitem Ruhm, deren Leben von öffentlichem Druck, intensiven Beziehungen und persönlichen Verlusten geprägt war. Angelina ist nicht nur eine brillante Schauspielerin, sondern auch jemand, der versteht, was es bedeutet, in einer Rolle zu leben, für die ganze Welt sichtbar zu sein. Sie hat sich intensiv vorbereitet, Gesang trainiert, um Callas’ Körperlichkeit zu erfassen.
Wie schwer fiel ihr das Gesangstraining?
Es war eine enorme Herausforderung. Angelina ist keine Opernsängerin, aber es war wichtig, dass sie das Singen als körperliche Erfahrung versteht. Callas’ ganze Persönlichkeit war mit ihrer Stimme verbunden. Angelina musste lernen, die Gesten, die Atmung, die Anstrengung nachzuempfinden. Sie sagte mir, dass sie durch das Singen die Figur erst richtig verstanden hat.
Viele wunderten sich, dass Angelina Jolie keine Oscar-Nominierung erhalten hat. Ihre Meinung dazu?
Ehrlich gesagt, interessiert mich das nicht. Auszeichnungen sind schön, aber ein Film wird nicht durch Preise definiert, sondern durch seine Wirkung über die Zeit. Ich bin stolz auf diesen Film, darauf, dass er jetzt in Deutschland veröffentlicht wird – einem Land mit großer Opernkultur. Das ist mir wichtiger.
"Auszeichnungen sind schön,aber ein Film wird nicht durch Preise definiert,sondern durch seine Wirkung über die Zeit"
Die Produktion ist teilweise deutsch. War die internationale Zusammenarbeit eine Herausforderung?
Nein, ganz im Gegenteil. Es ist eine Bereicherung, mit Technikern und Künstlern aus verschiedenen Ländern zu arbeiten. Meine Kamera- und Toncrew ist deutsch – absolute Spitzenklasse. Diese Art der Koproduktion macht den Film universell, so wie Maria Callas selbst eine universelle Figur war. Die Musik, die Kunst, die Geschichte von Callas – all das gehört nicht nur einem Land, sondern der ganzen Welt. Ich wollte keinen „multikulturellen“, sondern einen universellen Film machen.
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