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Der Streaming-Fahrplan: Ziemlich bester Meisterdieb

Der StreamingFahrplan Ziemlich bester Meisterdieb
Die Netflix-Serie »Lupin« fährt Omar Sy als französischen Gentleman-Gauner auf, die dritte »Charité«-Staffel erzählt vom Mauerbau, »Detectorists« feiert die kleinen Leute und »This Train I Ride« moderne Landstreicher.
»Lupin«, Netflix

Zeitbudget: fünf Folgen à 45 Minutenfür Fans von: »Sherlock«, »Ziemlich beste Freunde«

Arsène Lupin ist in Frankreich so bekannt wie Sherlock Holmes – und auch eng mit ihm verbunden: Arthur Conan Doyles sehr britischer Detektiv war ein Vorbild für den sehr französischen Meisterdieb, den der Autor Maurice Leblanc ersann und ab 1905 in über zwanzig Romanen auftreten ließ. Lupin ist ein eleganter, reicher Snob, dem guten Leben zugetan, distinguiert, stets gut gekleidet. Und als Verbrecher unerkannt und in zahllosen Verkleidungen unterwegs, um Kunstwerke oder auch mal politische Geheimnisse zu rauben.

Nun hat Holmes mit der Benedict-Cumberbatch-Serie »Sherlock« seine postmoderne Serien-Sandstrahlreinigung hinter sich, da war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch Lupin an der Reihe kommen musste. In der aktuellen Netflix-Version geht es nun um den Dieb Assane Diop, der sich den Gentleman-Gauner zum Vorbild nimmt und in der Auftaktfolge keine kleinen Brötchen backt: Er will in den Louvre einbrechen und eine Perlenkette stehlen, die schon Marie Antoinette trug. Was Diop dafür an Tricks auffährt (Betäubungsmittel in Putzmittelflaschen), dürfte Zuschauer eher nicht aus dem Sessel reißen, die im Lauf der Jahre anderen Film-Meisterdieben und -Tresorknackern bei der Arbeit über die Schulter geschaut haben.

Die Serie von »Killing Eve«-Macher George Kay will eher als groß angelegtes Krimipuzzle punkten, denn Diop/Lupin löst über den Verlauf aller Episoden das Geheimnis um den Tod seines Vaters. Und weil die Figur vom schwarzen französischen Superstar Omar Sy gespielt wird, geht es dabei immer auch um unverhohlenen und offenen Rassismus. Allerdings, und das hat »Lupin« mit Sys riesigem Filmerfolg »Ziemlich beste Freunde« gemein, darf der Demaskierungsanspruch nie dem Unterhaltungsfuror der Produktion im Weg stehen. Wer das schon bei dem Film unangenehm unangemessen und dramaturgisch fragwürdig fand, wird sich auch bei »Lupin« durch Sys Talent zum fraglos herzerwärmendem Grinsen nicht umstimmen lassen. Angesichts des Erfolgs von »Ziemlich beste Freunde« dürfte das die Minderheit sein. Ich zähle mich dazu. Oliver Kaever

Nina Kunzendorf als Kinderärztin Dr. Rapoport in der dritten Staffel von »Charité«Nina Kunzendorf als Kinderärztin Dr. Rapoport in der dritten Staffel von »Charité« Icon: vergrößern

Nina Kunzendorf als Kinderärztin Dr. Rapoport in der dritten Staffel von »Charité«

Foto: Stanislav Honzik / ARD
»Charité«, Staffel 3, ARD Mediathek

Zeitbudget: sechs Folgen à 45 Minutenfür Fans von: »Ballon«, »Deutschland '83«

Der am 13. August 1961 begonnene Bau der Berliner Mauer war aus medizinischer Sicht dringend geboten. Das ist ein überraschender Befund, der sich den Zuschauerinnen und Zuschauern der 3. Staffel von »Charité« aufdrängt. Die dritte Staffel der Krankenhausserie erzählt von der Zeit des Kalten Kriegs und vom Mauerbau.

Die junge, begabte Schauspielerin Nina Gummich spielt eine Ärztin, die im Sommer 1961 als Internistin im stolzesten Krankenhaus der DDR anfängt. Die Heldin erlebt, wie Tag für Tag weniger Ärztinnen, Ärzte und Krankenschwestern zum Dienst antreten – das medizinische Personal flieht in den Westen wie viele andere Bürgerinnen und Bürger der DDR auch. Die neue »Charité«-Staffel schildert clever und nur manchmal allzu didaktisch, wie die deutsch-deutsche Teilung Familien trennte und ein Symbol für gruseliges Unrecht wurde. Aber sie erzählt auch, aus welchen Motiven heraus manche Menschen dann lieber doch freiwillig im kommunistischen Osten blieben, statt sich in den Westen abzusetzen.

Herausragend und selbst in melodramatischen Momenten äußerst präzise ist neben Gummich auch Nina Kunzendorf in der Rolle der aus den USA nach Deutschland zurückgekehrten Kinderärztin Ingeborg Rapoport (1912 bis 2017). In einer zentralen Szene versucht Rapoport, junge, zweifelnde Eltern vom Wert einer Impfung zu überzeugen, die gegen ein gefährliches Virus helfen könnte. Im Fall der insgesamt wirklich empfehlenswerten »Charité«-Staffel geht es um einen in der Sowjetunion entwickelten Impfstoff gegen Kinderlähmung. (Ab 12. Januar um 20.15 Uhr auch in Doppelfolgen im linearen ARD-Programm) Wolfgang Höbel

Ein Denkmal für die »kleinen Leute«: Toby Jones (l.) in »Detectorists«Ein Denkmal für die »kleinen Leute«: Toby Jones (l.) in »Detectorists« Icon: vergrößern

Ein Denkmal für die »kleinen Leute«: Toby Jones (l.) in »Detectorists«

Foto: Arte
»Detectorists«, ARD Mediathek

Zeitbudget: 30 Minuten je Episodefür Fans von: »The Office«, »Warten auf den Bus«

Kleiner kann man Serienfernsehen kaum schrumpfen: Zwei Freunde, ein skurriles Hobby, sechs bis maximal sieben halbstündige Folgen pro Staffel. »Detectorists« folgt den Ü-40-Kumpeln Lance (Toby Jones) und Andy (Mackenzie Crook) dabei, wie sie mit ihren Metalldetektoren die Umgebung ihrer kleinen Heimatstadt im südenglischen Essex erkunden. Viel passiert in der BBC-Serie nicht und manches – zum Beispiel das Finden eines Schatzes – auch gar nicht, obwohl es das Ziel eines jeden Sondengängers ist. Aber weil die Serie so dicht an ihren Figuren dran ist, braucht es die großen Twists auch gar nicht. Denn wenn ein neues Mitglied zum Sondengänger-Klub dazu stößt (noch dazu eine aufgeweckte Studentin!), fühlt sich das dank der detaillierten Regie von Hauptdarsteller Crook, der auch alle Bücher geschrieben hat, schon wie ein Großereignis an.

Ganz beiläufig bringt einem »Detectorists« auch noch die Reize des Sondelns nahe: Nach nur wenigen Folgen kann man sich selbst kaum eine schönere Freizeitbeschäftigung vorstellen, als mit einem Freund (und einem Metalldetektor) durch die Natur zu streifen. Ob man dabei einen Schatz findet? Eigentlich egal, schließlich sind es die kleinen Dinge, die im Leben zählen. Und die kleinen Serien. Hannah Pilarczyk

Karen ist 20 und reist als blinde Passagierin per Güterzug durch die USA. Zu sehen in der Doku »This Train I Ride«Karen ist 20 und reist als blinde Passagierin per Güterzug durch die USA. Zu sehen in der Doku »This Train I Ride« Icon: vergrößern

Karen ist 20 und reist als blinde Passagierin per Güterzug durch die USA. Zu sehen in der Doku »This Train I Ride«

Foto: Arno Bitschy / Arte
»This Train I Ride«, Arte

Zeitbudget: 76 Minutenfür Fans von: »Sullivans Reisen«, »Das Leben stinkt«

»Ich merke jetzt erst, wie selbstbewusst ich eigentlich bin. Ich glaube, nicht viele Menschen könnten so leben wie ich.« Die junge Frau, die das sagt, lebt als moderner Hobo, fährt also als blinde Passagierin mit erstaunlich langen Güterzügen durch die Film-Landschaft der USA, und verdient mit Gelegenheitsjobs ein äußerst schmales Auskommen. Der finnische Dokumentarfilmregisseur Arno Bitschy hat sie und andere Protagonistinnen mit der Kamera begleitet und dabei eine Poesie aus Dreck, Stahl, Freiheit und spiritueller Suche eingefangen. Er erliegt dabei allerdings nicht der Gefahr der Romantisierung von Armut, lediglich die Musik des Nick-Cave-Kollegen Warren Ellis deutet eine stilistische Überhöhung an, die den Bildern fremd ist. Bitschy zeigt die Schönheit und den Schmerz eines Lebens buchstäblich auf Achse. Wer mag, kann bei Arte gerade noch tiefer in Subkulturen eintauchen, die Kollektion »Lucarne« versammelt neun weitere Dokumentationen über die Suche nach Freiheit und Sinn. Oliver Kaever

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Und den aktuellen »Tatort« finden Sie hier.

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