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Der Talkshow-Erfinder Hans Meiser ist tot: «Bitte nicht in dieser ...

Der TalkshowErfinder Hans Meiser ist tot Bitte nicht in dieser
Er wollte dem «kleinen Mann» im Fernsehen eine Stimme geben und hat in Wahrheit nur die Bühne für dessen Entwürdigung gebaut. Ein Nachruf auf Hans Meiser.

Er wollte dem «kleinen Mann» im Fernsehen eine Stimme geben und hat in Wahrheit nur die Bühne für dessen Entwürdigung gebaut. Ein Nachruf auf Hans Meiser.

«Bitte, bitte nicht in dieser Wortwahl!» – Hans Meiser im Jahr 2000 im Studio der nach ihm benannten RTL-Talkshow.
«Bitte, bitte nicht in dieser Wortwahl!» – Hans Meiser im Jahr 2000 im Studio der nach ihm benannten RTL-Talkshow.

Horst Ossinger / DPA

Die neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts werden von Menschen, die sie erlebt haben, gerne verklärt. Die Aufteilung der Welt in feindliche Blöcke schien überwunden, der Klimawandel war noch kein grosses Thema, und die grösste Party hiess «Love Parade» und fühlte sich, zumindest im berauschten Zustand, auch so an. Das war die helle Seite.

Doch das goldene Jahrzehnt hatte auch andere Seiten. Eine davon begann am 14. September 1992 um 16 Uhr auf RTL und hiess so wie ihr Erfinder: «Hans Meiser». Für eine Stunde entführte der gemütlich gebaute Niedersachse mit dem dichten Silberhaar seine Zuschauerinnen und Zuschauer an diesem Nachmittag in eine Welt, die damals so revolutionär neu wie banal war – ihre eigene. Und er hörte erst achteinhalb Jahre und rund 1700 Folgen später wieder auf.

Egal, ob es um den Umgang mit einem Trauerfall oder um das Thema «Sadomaso – wenn der Schmerz zur Lust wird» ging: Hans Meiser wollte alles wissen, und das von jedem, der bereit war, im Fernsehen auszupacken. Das waren viele. Und noch viel mehr wollten zuschauen. «Hans Meiser» wurde ein gigantischer Erfolg. Zu Spitzenzeiten kam RTL auf 40 Prozent Marktanteil. Die Folge war eine Flut ähnlicher Sendungen, die stets den Namen ihrer Moderatoren und Moderatorinnen trugen und mit der Zeit immer schriller wurden.

«Wir waren die Ersten, die dem normalen kleinen Mann auf der Strasse eine Stimme gegeben haben», sagte Hans Meiser einmal. Das klang edel, war aber Unsinn. Als Zuschauer hatte man beim nachmittäglichen Zappen selten den Eindruck, normalen Menschen beim Gespräch, sondern viel öfter, Freaks bei der Selbstentblössung zuzuschauen. Und die Moderatoren feuerten das Trauerspiel an, mal als Kummerkastenonkel, mal als strenge Gouvernante.

«Hysterische Frauen oder so»

«Natürlich habe ich Sendungen gemacht, wo es bis an den Rand ging», gab Hans Meiser später einmal in einem Interview zu. Als Beispiel nannte er eine Folge über «hysterische Frauen oder so», bei der ein Gast immer wieder «F . . .» geschimpft habe, wogegen er leider machtlos gewesen sei. «Bitte, bitte nicht in dieser Wortwahl!», habe er gesagt, vergebens. Die fragliche Sendung hat der Moderator mit dem – wie er selbst sagt – «miserablen Abitur» und dem abgebrochenen Studium nicht vorzeitig beendet, nicht an diesem Nachmittag und auch sonst nicht.

Erst spät, als das gesamte Nachmittagsprogramm der Privatsender im Wortsinn zugemüllt war, wandte sich das Publikum ab. Hans Meiser, den Pionier, traf es als einen der Ersten. Am mangelnden Willen, in die Abgründe fremder Menschen zu schauen, lag es nicht. Vermutlich war der joviale Krawattenträger, der seine Gäste trotz allem immer noch siezte, im Vergleich zu den Köpfen der neueren Sendungen aus Sicht des Publikums einfach nicht mehr krass genug.

Der gelernte Fernseh- und Radiomann blieb noch bis 2010 bei RTL. Er moderierte eine Pannen- und eine Quizshow, ehe ihn der Sender schliesslich hinauswarf. Beim ZDF-Moderator Jan Böhmermann schlüpfte er später noch einmal in eine Rolle, mit der er in gewisser Weise an seine Anfänge bei RTL anknüpfte: Als engstirniger Reaktionär mimte er den «kleinen Mann» beziehungsweise das, was er dafür hielt.

Hans Meiser, der dem kleinen Mann im Fernsehen eine Stimme geben wollte, in Wahrheit aber nur die Bühne für dessen Entwürdigung gebaut hat, ist an diesem Montag im Alter von 77 Jahren an Herzversagen gestorben.

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