Zum Tod von Christoph Sydow: Mensch, Christoph
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Christoph Sydow war ein Kollege, der spiegel.de durch sein Wissen bereichert hat und die Redaktion durch seine Art. Er war derjenige, der zu Studienzeiten 2005 den mehrfach ausgezeichneten Nahost-Blog "Alsharq" gründete, mit seiner Expertise aber nie protzte, sondern sie in den Dienst der Sache stellte, wenn es publizistisch geboten war.
Er berlinerte "Det is eben so", wenn Kollegen sich um ihn sorgten wegen all der Anfeindungen aus dem Netz, denen er ausgesetzt war. Wenn der Newsroom in heller Aufregung war, wenn die Nachrichten sich in einer Terrorlage überschlugen, dann war es Christoph, der das angebliche IS-Bekennervideo wieder und wieder durchsah, diesen blutgetränkten Irrsinn, und nach den Unstimmigkeiten forschte, die die Selbstbezichtigung der Terroristen als Fälschung entlarvte.
Christoph war nie der Lauteste in der Redaktion, aber immer einer der Kundigsten in seinem Themengebiet. Er war der Autor Dutzender Analysen, in der Redaktion ist eine eigene Stilform nach ihm benannt, die Sydowlyse. Wo es eine Einordnung zu Nachrichten aus dem arabischen Raum brauchte - und die brauchte es oft -, hat Christoph sie aufgeschrieben. Kundig, verlässlich, mit Freude.
Christoph war der Kollege, der den Nahen Osten liebte (und, auch wenn es nicht immer leicht war, Werder Bremen). Er war der Kollege, der über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur redete, sondern sich mit Leidenschaft um seine Kinder kümmerte. Er war derjenige, der nicht verschwenderisch war mit Worten, aber großzügig mit seinem Humor.
Dieser Text handelt von Christophs Leben. Und er handelt von Christophs Tod mit 35 Jahren. Weil sich beides vermengt, verdichtet zu einem Knäuel aus Fragen, Gedanken, Gefühlen, Konjunktiven - hätte, sollte, müsste. In der unerträglichen Stille, in die uns die Ohnmacht zwängt, rattert es betäubend laut.
Es ist der Wunsch von Christophs Familie, dass hier nicht zu lesen ist, Christoph sei "plötzlich und unerwartet" verstorben. Dass wir uns nicht verstecken hinter Floskeln und so doch nur Gerüchten und Spekulationen den Weg bereiten. In Deutschland sterben in einem Jahr mehr Menschen durch einen Suizid als durch Verkehrsunfälle, Drogen und HIV zusammen - aber nur selten wird darüber gesprochen. Ein bisschen so, als wäre der Suizid ansteckend. Das ist er nicht.
Wir können nur ahnen, wie verzweifelt Christoph gewesen sein muss, diesen Schritt zu gehen. Dass er nicht mehr die Möglichkeiten des Lebens sah: die Verheißungen, die Chancen, den Genuss - sondern nur noch die Last. Wir blicken voller Zuneigung, Wertschätzung, Hochachtung auf den Menschen, der Christoph war. Wir blicken voller Trauer auf den Tod, den er gewählt hat. Wir sind mit seiner Entscheidung nicht einverstanden.
Wir werden Christoph nicht vergessen.
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