„Menschen haben Auschwitz gemacht“
Auschwitz, Belzec, Bergen-Belsen, Bialystok, Burg Hohnstein, Columbiahaus, Dachau . . . Rolf Heinemann, Historiker und engagiert bei der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, verliest vor der Paulskirche die Namen der Vernichtungs- und Konzentrationslager, in denen die Nationalsozialisten ihre Opfer zu Tode quälten. 53 Orte wird er am Ende aufzählen. Neben sich hat Heinemann einen Kübel voller roter Rosen stehen. Nach und nach treten die Menschen vor, nehmen eine der Blumen, legen sie an dem Denkmal für die NS-Opfer nieder, das der Künstler Hans Wimmer 1964 erschaffen hat, und bleiben einen Augenblick still stehen.
Mit einer Gedenkstunde wurde am Donnerstagnachmittag auf dem Paulsplatz und in der Paulskirche der Opfer der nationalsozialistischen Diktatur, Juden, Zeugen Jehovas, Homosexuellen, Sinti und Roma, politischen Gegner der Nazis, gedacht. Anlass dafür war der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.
Der Gedenktag erinnert an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Vor 77 Jahren, am 27. Januar 1945, gelang es Soldaten der Roten Armee, das von der SS betriebene Lager einzunehmen und die dort noch lebenden Häftlinge zu befreien. Mehr als eineinhalb Millionen Menschen hatten zuvor in dem Lager den Tod gefunden.
Eine von Menschen betriebene „ Tötungsmaschinerie“Der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) sprach in seiner Rede bei der Gedenkstunde im lichten Plenarsaal der Paulskirche deshalb von Auschwitz als „Tötungsmaschinerie“. Dass diese Maschinerie nicht von allein lief, sondern von Menschen unterstützt und betrieben wurde, nannte er das Unbegreifliche an den Vernichtungslagern der Nazis. „Auschwitz war keine Flutwelle, die über die Welt gekommen ist, Auschwitz wurde von Menschen gemacht“, sagte Feldmann.
In seiner kurzen Rede erinnerte der Oberbürgermeister auch an Trude Simonsohn, die Frankfurter Ehrenbürgerin, die Auschwitz und ein weiteres Konzentrationslager überlebte. Erst vor wenigen Tagen ist die Jüdin im Alter von 100 Jahren gestorben. Simonsohn hat sich viele Jahre als Zeitzeugin engagiert, hat über ihre Erlebnisse gesprochen, häufig auch mit Kindern und Jugendlichen.
In der Paulskirche las Feldmann ein Kapitel aus ihrem Erinnerungsbuch „Noch ein Glück“. Darin hat Simonsohn beschrieben, wie sie das Lager Auschwitz erreichte, wie sie den berüchtigten KZ-Arzt Josef Mengele erblickte, wie ihr die Haare geschoren wurden, wie sie nackt ein Spalier aus SS-Männern passieren musste. „Nach einer Stunde in Auschwitz habe ich gewusst, wo ich hier bin: in der Hölle“, rezitierte Feldmann die Aufzeichnungen der Holocaust-Überlebenden.
Eine alarmierende StudieDie Gedenkstunde in der Paulskirche war am Donnerstag nicht die einzige Veranstaltung in der Region, bei der an das Leid der NS-Opfer erinnert wurde. Im Plenarsaal des Main-Taunus-Kreises in Hofheim sprach Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) ein Gedenkwort. Schüler der Schwalbacher Albert-Einstein-Schule stellten dort ein Projekt vor, in dem sie sich mit dem Schicksal der Sinti und Roma in der NS-Zeit auseinandergesetzt haben. Im Frankfurter Ostpark ist bei einem Projekt von Fußballfans eine Gedenkwand für Alfred J. Meyers, den früheren Vorsitzenden des Sportvereins FSV Frankfurt, entstanden. Meyers wurde von den Nazis entmachtet und floh in die Vereinigten Staaten.
Der Jüdische Weltkongress hat anlässlich des Gedenktags eine alarmierende Studie veröffentlicht. Antisemitismus hat sich demnach besonders unter jungen Deutschen stark ausgebreitet. Fast jeder dritte Deutsche zwischen 18 und 29 Jahren vertritt laut der Umfrage antisemitische Positionen.