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Gasförderung wie im Kalten Krieg: Putin hat Gazprom zerstört

Gasförderung wie im Kalten Krieg Putin hat Gazprom zerstört
Gazprom war jahrelang die Cashcow des Kremls. Allein 2021 erhielt Wladimir Putin von seinem "Nationalen Schatz" eine Ausschüttung über 20 Milliarden Dollar. Doch nach dem Angriff auf die Ukraine begeht Gazprom wirtschaftlichen Selbstmord. Die einzige Ho

Gazprom war jahrelang die Cashcow des Kremls. Allein 2021 erhielt Wladimir Putin von seinem "Nationalen Schatz" eine Ausschüttung über 20 Milliarden Dollar. Doch nach dem Angriff auf die Ukraine begeht Gazprom wirtschaftlichen Selbstmord. Die einzige Hoffnung? China.

Die Krawatte von Xi Jinping hing auffällig schief, aber ansonsten war beim Treffen des chinesischen mit dem russischen Staatschef alles Friede, Freude, Eierkuchen. Die Neue Seidenstraße sei ein voller Erfolg, lobte Wladimir Putin beim Seidenstraßen-Forum in Peking den globalen Baumeister China. Xi Jinping gab das Lob zurück: Er habe Putin in den vergangenen zehn Jahren 42 Mal getroffen und eine "tiefe Freundschaft" zum Kremlchef entwickelt. Doch in einem Fall lässt Xi seinen besten Freund seit Monaten hängen: Putin wartet nach wie vor auf das chinesische Go für die Power of Siberia 2 - das milliardenschwere Prestigeprojekt, das die Zukunft von Gazprom retten soll.

So sieht Freundschaft aus: Wladimir Putin besucht Xi Jinping in Peking.

So sieht Freundschaft aus: Wladimir Putin besucht Xi Jinping in Peking.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Dabei können Peking und Moskau normalerweise gar nicht aufhören, damit zu prahlen, wie gut sich ihre Wirtschaftsbeziehungen entwickelt haben: Die chinesischen Exporte nach Russland steigen und steigen. Als Ausgleich kauft China in Russland so viel fossile Brennstoffe ein wie kein anderes Land auf der Welt. Der chinesische Yuan ist inzwischen die ausländische Währung, mit der in Russland die mit Abstand meisten Auslandsgeschäfte abgewickelt werden. Der Anteil lag 2022 noch bei winzigen 0,4 Prozent. Inzwischen sind es knapp 50. Aber keine dieser Entwicklungen hilft Gazprom, denn der Gasriese braucht neue Pipelines.

Frühere Kunden klagen

Gazprom war bis zum russischen Angriff auf die Ukraine die Cashcow des Kremls. 2021 lieferte der Staatskonzern etwa 141 Milliarden Kubikmeter Gas an den größten Kunden Europa. Das waren zwei Drittel aller Pipeline-Exporte. Ein Jahr später konnte sich Putin eine Ausschüttung von 20 Milliarden Dollar unter den Nagel reißen.

Doch der Angriff auf die Ukraine hat die Lage verändert: Kunden wie Deutschland, Italien und Polen sind raus dem Russlandgeschäft. Nur noch Ungarn und Österreich hängen wirklich am russischen Gashahn. Dieses Jahr kann Gazprom deswegen nur noch 25 Milliarden Kubikmeter Gas in Richtung Westen liefern, verglichen mit früher ist das ein Minus von mehr als 80 Prozent.

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Dazu kommen Klagen von Unternehmen wie der deutschen Uniper. Gazprom hatte ihnen nach Kriegsbeginn den Gashahn abgedreht, um europäische Versorger und somit europäische Regierungen zu erpressen. Ein Vertragsbruch, der Milliarden kosten und den Konzern zerstören könnte: "Die Bedeutung von Gazprom ist für den Kreml nicht mehr die von früher. Kann man dieses Unternehmen also aus politisch-strategischer Sicht opfern?", fragt der Energieanalyst Andreas Schröder im "Wieder was gelernt"-Podcast von ntv. "Ich kann mir vorstellen, dass es Gazprom in einigen Jahren in dieser Form nicht mehr gibt. Das erlebt man immer wieder, wenn ein Unternehmen in die Bredouille gerät und Forderungen entstehen: Durch Aufspaltungen wird ein Teil mit Zukunft gerettet, die Forderungen landen in einer Bad-Bank."

Gasförderung wie im Kalten Krieg

Die genaue finanzielle Situation von Gazprom ist unbekannt, denn der Gasriese veröffentlicht seit Kriegsbeginn keine Geschäftszahlen mehr. Aber die Zahlen, die bekannt sind, zeichnen ein düsteres Bild: Im September hat Gazprom gemeldet, dass man im ersten Halbjahr 179 Milliarden Kubikmeter Gas gefördert hat. Das ist nach Angaben der unabhängigen russischen Nachrichtenseite Agentstvo die niedrigste Produktionsrate seit 1978.

Das spiegelt sich im Aktienkurs wider: Im Rekordjahr 2021 erreichte Gazprom ein Allzeithoch von knapp 370 Rubel. Aktuell sind es 170 Rubel, also umgerechnet 1,66 Euro. "Tausende russische Kleinanleger hätten an die Erzählung von Gazprom als "Nationaler Schatz" geglaubt. Jetzt könnten sie zuschauen, wie ihr Investment wertlos wird", schreibt der russische Energieanalyst Michail Kruschikin beim unabhängigen russischen Investigativmedium "The Insider".

Sein Fazit ist vernichtend: Gazprom habe im Auftrag von Putin wirtschaftlichen Suizid begangen, sagt Kruschikin. Denn bis heute sind Gaslieferungen nach Europa nicht mit Sanktionen belegt und somit verboten. Gazprom hat den Hahn freiwillig zugedreht und die EU daraus die Konsequenzen gezogen: Ab 2027 möchte sie gar keine fossilen Brennstoffe mehr in Russland einkaufen.

China ignoriert Gazprom

Als Großkunde bliebe im Ausland dann nur noch die Türkei übrig - und China, falls die Power of Siberia 2 gebaut wird. Am Bedarf mangelt es nicht. In den vergangenen zwölf Monaten haben chinesische Unternehmen langfristige Flüssiggas-Verträge mit Katar abgeschlossen. Das Emirat soll der Volksrepublik jährlich etwa 11 Milliarden Kubikmeter Erdgas liefern.

Auch in den USA, Australien und Turkmenistan kauft China ein: Vom zentralasiatischen Partner bezieht die Volksrepublik schon jetzt 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas im Jahr. Nach zehn Jahren Bauzeit wollen China und Turkmenistan zudem endlich die vierte Trasse der Zentralasien-China-Pipeline in Betrieb nehmen: Strang D soll weitere 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas im Jahr liefern.

Gazprom muss sich mit weniger begnügen. Über die einzige bestehende russische Pipeline nach China, die Power of Siberia 1, hat China im vergangenen Jahr 16 Milliarden Kubikmeter Erdgas bezogen. Dieses Jahr sollen es nach Angaben von Gazprom-Chef Alexei Miller 22 Milliarden werden. In zwei Jahren soll die volle Kapazität von 38 Milliarden Kubikmeter erreicht werden. Noch ein Jahr später - 2026 - soll zudem die Fernost-Röhre in Betrieb gehen und 10 Milliarden Kubikmeter von der Sachalin-Insel nach China liefern.

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Pipeline mit Nord-Stream-Dimension

Peanuts im Vergleich zur Power of Siberia 2: Die 100 Milliarden Euro teure und 2600 Kilometer lange Superröhre könnte jedes Jahr 50 Milliarden Kubikmeter Erdgas von der rohstoffreichen Jamal-Halbinsel im hohen russischen Norden durch den Westen von Sibirien über die Mongolei nach China transportieren. Nord-Stream-Dimensionen, die neues Geld in die Kassen von Gazprom und somit des Kremls spülen würden.

Doch China will die Röhre einfach nicht absegnen, obwohl russische Medien schon vor einem halben Jahr Vollzug gemeldet hatten, als Xi Jinping seinen besten Freund in Moskau besuchte. Fortschritte gab es seitdem nicht, die neue Mega-Pipeline hängt bis heute in der Schwebe.

Zuversichtlicher Putin

Warum China zögert, ist unklar. Die Volksrepublik achtet penibel darauf, dass sie nicht den Fehler von Deutschland wiederholt und sich bei der Energieversorgung von einem anderen Land abhängig macht. Das ist bekannt. Vielleicht handelt sich es um eine Verhandlungstaktik, mit der Xi einen besseren Preis bei Putin herausschlagen möchte.

Der jedenfalls bleibt zuversichtlich, dass die Power of Siberia 2 bald Realität wird: "Alle Beteiligten wollen das Projekt", sagte Putin laut der russischen Nachrichtenagentur TASS bei seinem Besuch in Peking. "Wir arbeiten noch an der Umsetzung, aber ich denke, wir haben ein gutes Momentum."

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In der Chefetage von Gazprom wird man hoffen, dass Putin recht behält, doch selbst dann kann sich Andreas Schröder kein Comeback der russischen Cashcow vorstellen. "In den Pressemitteilungen bekommt man den Eindruck, Gazprom liefert riesige Mengen", erklärt der Energiespezialist im "Wieder was gelernt"-Podcast. Die Lieferungen würden perspektivisch zwar steigen, führt er aus. "Aber vergleichen mit dem Europageschäft, das weggebrochen ist, sind es immer noch verhältnismäßig kleine Mengen. Es ist auch nicht absehbar, dass die Volumen mal eben verdoppelt und verdreifacht werden, denn dieses Terrain ist schwierig und macht den Bau von Pipelines kompliziert."

Gazprom hat sein Imperium auf Gasexporten ins europäische Ausland aufgebaut, sagt auch der russische Energieanalyst Kruschikin im "Insider". Der Osten oder das riesige Heimatgeschäft wurden vernachlässigt. Doch nicht nur die europäischen, auch die heimischen Kunden sind wütend, denn sie leiden ebenfalls unter der geringen Produktion von Gazprom - und ziehen wegen Vertragsbruch vor Gericht. Putin hat seinen "nationalen Schatz" gekillt.

"Wieder was gelernt"-Podcast

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.

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