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Scholz und seine Regierung reden zu den Wählern, als ob sie ...

Scholz und seine Regierung reden zu den Wählern als ob sie
Die Deutschen laufen den etablierten Parteien davon. Das könnte auch daran liegen, dass manche Politiker ihre Wähler wie Kinder behandeln. Es braucht endlich wieder Kommunikation auf Augenhöhe.

Die Deutschen laufen den etablierten Parteien davon. Das könnte auch daran liegen, dass manche Politiker ihre Wähler wie Kinder behandeln. Es braucht endlich wieder Kommunikation auf Augenhöhe.

Politische Debatte als Spielshow: «Ist die AfD eigentlich ein Problem für die Demokratie?», fragte die ARD in dieser Woche.

Politische Debatte als Spielshow: «Ist die AfD eigentlich ein Problem für die Demokratie?», fragte die ARD in dieser Woche.

NDR

Sie lesen einen Auszug aus dem werktäglichen Newsletter «Der andere Blick», heute von Susanne Gaschke, Autorin der NZZ Deutschland. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.

Friedrich Merz, der frisch gekürte Kanzlerkandidat der deutschen Christlichdemokraten, ruft bei linksliberalen oder grün orientierten Journalisten oft eine heftige Reaktanz hervor. Möglicherweise hat das nicht nur mit dessen politischen Positionen zu tun, die seine Gegner regelmässig als «rechts» – sprich: indiskutabel – zu denunzieren versuchen.

Vielleicht ist es auch Merz’ Habitus, der die Ablehnung des kommentierenden Justemilieu auslöst: Der CDU-Politiker tritt dezidiert als Erwachsener auf. Er ist stets korrekt gekleidet, was das Tragen einer Krawatte ein- und das Tragen von Turnschuhen zu offiziellen Anlässen ausschliesst. Und er adressiert sein Publikum wie erwachsene Staatsbürger: ohne Kumpelei, ohne Anbiederung oder Herablassung. Ausserdem frei von der Angst, komplizierte Sachverhalte in ganzen Sätzen darzustellen.

Dieses Erwachsene wirkt in der deutschen Politik mittlerweile fast wie ein Fremdkörper. Hatte der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder rhetorisch noch den zwar autoritären, aber diskursfähigen Arbeiterführer gegeben, so pädagogisierte seine christlichdemokratische Nachfolgerin Angela Merkel die Kommunikation zwischen Regierung und Bürgern radikal.

«Wir werden eine gute Lösung finden»

Häufig liefen ihre Äusserungen darauf hinaus, die Menschen sollten sich keine Sorgen um dieses oder jenes Problem machen; die Regierungschefin werde schon «eine gute Lösung finden». Öffentliche Diskussionen, so der Subtext, seien gar nicht nötig. Die kulturellen Eliten lernten von Merkel die pseudonaturwissenschaftliche Attitüde, es gebe auf die komplizierten und widersprüchlichen Fragen der Gegenwart ohnehin nur noch jeweils eine einzige «richtige» Antwort.

«Das ist das Paradigma der Alternativlosigkeit», sagte die Schriftstellerin und brandenburgische Verfassungsrichterin Juli Zeh in einem Interview mit dem Magazin «Cicero»: «Unsere Zeit wird als Dauerkrise oder gar als Ausnahmezustand beschrieben, und daraus folgt dann die Idee von zwingenden Handlungsdirektiven, die nicht mehr debattiert, sondern nur noch ‹kommuniziert› werden. So kommt es zum pädagogischen Ansatz in der Politik.»

Unter dem «pädagogischen Ansatz» waren die kontroversen Debatten um die Flüchtlingskrise 2015 und um die Corona-Massnahmen der Jahre 2020 bis 2022 genauso unerwünscht wie eine Diskussion über die «sozial-ökologische Transformation». Wer sich aber in diesen Fragen im Besitz «objektiver» Erkenntnis wähnt, wird im Ton leicht schulmeisterlich – und reagiert ungehalten auf Widerspruch.

Muss Politik nur besser «erklärt» werden?

Schleichend in den Merkel-Jahren, dann noch einmal beschleunigt in der Regierungszeit der Koalition aus SPD, Grünen und FDP seit 2021, hat sich diese schulmeisterliche Haltung in der Politik und in den ihr verbundenen gesellschaftlichen Subsystemen des Kulturbetriebs, der Medien und der Wissenschaft verfestigt. Oft stösst man dort nun auf die irrige Wahrnehmung, dass die Politik der selbst definierten «Fortschritts»-Koalition nur besser «erklärt» werden müsse, dann werde sie auch verstanden und akzeptiert.

Dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Olaf Scholz wird zumindest hinter vorgehaltener Hand auch aus den eigenen Reihen vorgeworfen, er «erkläre» nicht ausreichend, was er gerade tue. Tatsächlich mag das insofern stimmen, als Scholz oft sinngemäss sagt, was die Regierung mache, sei gut – denn wenn es nicht gut wäre, würde sie es ja nicht machen. Da ist erklärtechnisch sicher noch Luft nach oben.

Doch in vielen Fällen dürften nennenswerte Teile der Bevölkerung einfach anderer Meinung sein als der Kanzler und seine Regierung: Die Vorstellung von einer «alternativlosen» Transformation mit heizungspolitischer Bevormundung und absurden Energiewendekosten erscheint vielen anmassend. Die lange Untätigkeit der Koalition in Bezug auf die ungesteuerte Einwanderung war ebenfalls alles andere als alternativlos. Es geht nicht um bessere Erklärungen. Es geht um bessere Politik.

Die Dauerbelehrung des Publikums

Belege für die Pädagogisierung des Publikums finden sich jedoch nicht nur in der Regierungskommunikation. Beinahe jede landläufige kommerzielle Werbung hält die Kunden zu ökologischem Verhalten an oder pocht auf «Diversity»-Freundlichkeit. Die Kirchen und ihre Wohlfahrtsorganisationen bekämpfen alles, was sie für «Rassismus» halten – und natürlich «rechte Parteien», gern in Diversity-gerechter Gendersprache.

Das öffentlichrechtliche Fernsehen scheint ebenfalls einen starken erzieherischen Auftrag zu verspüren. Da berichtet man zum Beispiel nicht etwa zuerst nachrichtlich darüber, was die FDP in ihrem Beschlusspapier zur Zukunft des Autoverkehrs formuliert, sondern teilt gleich mit, «was davon zu halten ist».

Die Sportreporterin und «Tagesthemen»-Moderatorin Jessy Wellmer reist durch ihre ostdeutsche Heimat und erklärt den Leuten, warum es ganz falsch ist, «rechts» zu wählen. Die Kabarettistin Carolin Kebekus meldet sich aus ihrer Elternzeit und darf auf dem «Tatort»-Sendeplatz verkünden, Kinderrechte gehörten ins Grundgesetz.

Die ZDF-Sendung «Berlin direkt» informierte jüngst ihre Zuschauer, dass es weniger ein Problem mit illegaler Migration als mit populistischen Einstellungen gebe. Die ARD belehrt ihr Publikum mittels einer Spielshow mit 100 zufällig ausgewählten Teilnehmern («Die 100») darüber, wie es um die Schädlichkeit der Partei Alternative für Deutschland (AfD) für die Demokratie bestellt ist. Und wie der Zufall es wollte, fiel der Befund sehr kritisch aus.

Gerade das letztgenannte Beispiel mag dem düsteren Gefühl entsprungen sein, dass die ARD am Leben etlicher Zuschauer vorbeisendet. Gleichzeitig ist es aber Ausdruck dafür, dass die Programmverantwortlichen sich partout nicht erklären können, woran das wohl liegt: Sie treten doch permanent für alles ein, was gut und richtig ist.

Das ZDF bietet seiner «Community» in einer aufwendig beworbenen Kampagne sogar Gelegenheit zum «Mitreden» an. Ob sich das dann irgendwann auch auf die Qualität des Unterhaltungsprogramms oder den Pluralismusquotienten der Nachrichtensendungen auswirken wird, bleibt abzuwarten.

Dass man die neuerdings unheimlich wählenden, den klassischen Parteien davonlaufenden Bürger irgendwie wieder einfangen müsste, ahnt auch die Karrierepolitik. Allerdings versucht man das lieber mit abstrusen Mitmachformaten als mit dem Bemühen, neue Mitglieder in die Parteien zu locken. Das würde ja auch Mühe und lästige Diskussionen mit neuen Leuten bedeuten, die die Spielregeln der «professionellen» Parteiarbeit noch gar nicht kennen.

Bürgernähe ohne lästige Bürger

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas von den Sozialdemokraten macht sich stattdessen lieber stark für zusammengeloste «Bürgerräte», die quer zum repräsentativen parlamentarischen System der Bundesrepublik stehen. Deren Themen kommen nicht wirklich aus der Bevölkerung, sondern werden von der Politverwaltung vorgegeben – wie jüngst «Ernährung im Wandel».

So versucht man, den Eindruck von Bürgernähe zu erzeugen, ohne sich in echten Entscheidungsprozessen mit echten Bürgern herumschlagen zu müssen. Diese Pseudobeteiligung hat einerseits den Charakter von Beschäftigungstherapie, delegitimiert aber zugleich den Parlamentarismus.

Den delegitimiert die Parlamentsmehrheit allerdings auch, indem sie das Wahlrecht zuungunsten der gewählten Wahlkreisabgeordneten ändert. Man kann darüber hinaus den Eindruck gewinnen, dass besonders die alten Volksparteien, und ganz speziell im Osten, ihre Arbeit in der Fläche einstellen, Geschäftsstellen schliessen und ihre Abgeordneten verstecken. Nicht alle, nicht überall – aber zu viele, zu oft.

Besonders eindrucksvoll wurde das bei der Landtagswahl in Thüringen Anfang September deutlich, wo sich die SPD, die dort mitregiert, mit geldwerten Angeboten überschlug: Weihnachtsgeld für Rentner, Gehalt für pflegende Angehörige, kostenloses Schulmittagsessen. Im Bund macht es die Regierungs-SPD mit Rente, Bürgergeld und Mindestlohn ähnlich.

Demonstrationen im Sinne der Obrigkeit

Neben der Frage, warum die Thüringer Sozialdemokraten auf all diese (steuerfinanzierten) Verbesserungen nicht in ihrer Regierungszeit gedrungen hatten, irritierte vor allem das Wählerbild, das sich hinter dieser Ansprache verbarg: Es sah aus, als halte die SPD ihre Wähler für reine persönliche Nutzenmaximierer, nicht für mündige Bürger, die nach Weltanschauung und Zukunftsvorstellungen der Partei ihrer Wahl fragen. Oder eben Denkzettel verteilen.

Verschiedene Massnahmen, die sich die deutsche Regierung durchaus eine Menge (Steuer-)Geld kosten lässt, verstärken den Eindruck, dass die Bevölkerung zur richtigen politischen Haltung erzogen werden soll: 200 Millionen Euro im Jahr darf das grün geführte Bundesfamilienministerium mittlerweile für das Programm «Demokratie leben!» ausgeben, dessen schwach evaluierte Projekte und Initiativen sich vor allem «gegen rechts» wenden.

Die Bundeszentrale für Politische Bildung bekommt für alles andere nur rund 80 Millionen Euro jährlich. Die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung sieht das Land in einer «Diskriminierungskrise» und fordert mehr Meldestellen und gesetzliche Unterstützung für Bürger, die sich als Opfer fühlen.

Die Bundesregierung fördert Medien mit guter Gesinnung wie die Rechercheplattform «Correctiv», die mit ihrer bei Lichte betrachtet relativ fadenscheinigen Berichterstattung über angebliche «Remigrationspläne» den Treibstoff für bundesweite Demonstrationen «gegen rechts» lieferte. Selten gab es im demokratischen Deutschland Kundgebungen, die von der Obrigkeit so ausdrücklich begrüsst wurden.

Das Problem mit der «leichten Sprache»

Mit der Darstellung ihrer Tätigkeit in «leichter Sprache» macht die Regierung im Internet den an sich ehrenwerten Versuch, auch Nicht-Muttersprachler und kognitiv eingeschränkte Menschen zu informieren. Leider zeigt sich aber, dass die Komplexitätsreduktion mit dem Holzhammer erstens zu Fehlern führt und zweitens zur Indoktrination verleitet. Der Satz «Der Bundes-Kanzler hat sehr viel zu sagen» und die Behauptung, die Ministerien müssten ausführen, was er ihnen sage, mag zwar Olaf Scholz’ Selbstverständnis entsprechen. Tatsächlich findet seine «Richtlinienkompetenz» aber an der Ressortautonomie und der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung ihre Grenzen.

Die politische Öffentlichkeit spürt die Absicht – und sie ist verstimmt. Viele Bürger reagieren mit Entfremdungsgefühlen oder mit Trotz. Das Vertrauen in Deutschlands demokratische Institutionen ist dramatisch gesunken. Laut aktuellen Zahlen vom Institut für Demoskopie Allensbach hat fast die Hälfte der Bundesbürger das Gefühl, ihre Meinung nicht frei sagen zu können, ohne dafür moralisch in die böse Ecke verbannt zu werden. 54 Prozent stimmen der Aussage zu «Die Politik möchte mir immer mehr vorschreiben, wie ich mein Leben zu führen habe».

Deutschland hat offiziell noch nie so entschlossen gegen «rechts» agitiert – und zugleich gab es noch nie so viele Wähler rechter Parteien. Irgendetwas an dieser Strategie muss falsch sein, und der Verdacht liegt nahe, dass es die Pädagogisierung der politischen Kommunikation sein könnte. Die Politik, und mit ihr die Medien, sollte also davon ablassen. Sie muss aufhören damit, ständig wie Bundeskanzler Scholz von «Respekt» nur zu sprechen, und stattdessen damit beginnen, sich von Staatsbürger zu Staatsbürger auf ein Gespräch unter Erwachsenen einzulassen.

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