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Beyoncés neues Album: «Cowboy Carter»

Beyoncés neues Album Cowboy Carter
«Cowboy Carter» ist das achte Album der afroamerikanischen Pop-Sängerin. Stilistisch geht es weit über Black-Music-Traditionen hinaus. Damit verbunden ist eine Botschaft.

«Cowboy Carter» ist das achte Album der afroamerikanischen Pop-Sängerin. Stilistisch geht es weit über Black-Music-Traditionen hinaus. Damit verbunden ist eine Botschaft.

So sicher Beyoncé im Sattel eines Schimmels sitzt, so souverän geht sie um mit der weissen Country-Tradition.

So sicher Beyoncé im Sattel eines Schimmels sitzt, so souverän geht sie um mit der weissen Country-Tradition.

AP

Auf dem Cover ihres neuen Albums «Cowboy Carter» reitet Queen Beyoncé, die amerikanische Flagge schwingend, auf einem Schimmel. So will ihre Majestät ein neues Reich erobern: Country-Music.

Zu den Banjo-Klängen von «Texas Hold ’Em» hat sie sich gleich an die Spitze der amerikanischen Country-Charts gesetzt – als erste schwarze Künstlerin. Die Aneignung der alten amerikanischen Volksmusik scheint ihr trotzdem nicht ganz leicht gefallen zu sein. «Cowboy Carter» erweist sich gleichzeitig als gewichtiges, aber auch als etwas überfrachtetes Konzeptalbum – ein Puzzle aus Songs, Songschnipseln, Samples und Zitaten.

Beyoncé überzeugt mit ein paar entspannten Country-Titeln wie «Texas Hold ’Em» oder «Alligator Tears». Und mit Coverversionen wie Dolly Partons «Jolene» oder «Blackbird» von den Beatles stellt sie ihre Flexibilität unter Beweis. Ihre Fusionen von House oder Hip-Hop mit Country sind anregend. Für Höhepunkte wird mit Anleihen bei Rap («Spaghetti») und Rock’n’Roll («Ya Ya») gesorgt. Aber Country gibt den Ton an auf «Cowboy Carter».

Dass sich ein paar Rednecks jetzt daran stören, dass eine schwarze Amazone mit Cowboyhut, Stiefeln und Sporen in ihren musikalischen Garten trampt, überrascht kaum. Selbst die Fans aber mögen sich fragen, warum sich die 42-jährige Afroamerikanerin ausgerechnet in einem Genre zu profilieren sucht, das eigentlich als typisch weiss gilt.

Folgt sie jener historischen Spur, die von Country tatsächlich zurück in die Black Music führt, oder versucht sie schlicht, ein neues Publikums- und Marktsegment zu erschliessen? Beides trifft zu. Beyoncé ist eine clevere Geschäftsfrau, die stets nach eingängigen Beats Ausschau hält. Und sie hat früher schon auf die musikalische Verwandtschaft von Blues und Country gesetzt. Aber mit «Cowboy Carter» geht sie viel weiter. Der programmatische Charakter des neuen Albums zeigt sich, wenn man es in den Kontext ihrer bisherigen Karriere stellt.

Der künstlerische Reifeprozess

Um ihr gesangliches Talent musste sich die R’n’B-Sängerin aus Texas nie Sorgen machen. Seit sie Ende der neunziger Jahre mit der Mädchenband Destiny’s Child durchgestartet ist, zählt sie zu den virtuosesten Stimmen Amerikas. Was Koloraturen und ihr rhythmisches Raffinement betrifft, wird sie von allen bewundert oder beneidet.

Beyoncés Image sowie ihr künstlerisches Profil hingegen schienen zunächst unscharf. Kritiker vermissten anfangs zuweilen Ausstrahlung und Leidenschaft. Und während Beyoncé als unnahbares Wunderkind glänzen durfte, mussten sich bei Destiny’s Child die umgänglicheren Kolleginnen Michelle Williams und Kelly Rowland um den Austausch mit den Fans kümmern.

Wie ihr Vorbild Michael Jackson ist Beyoncé sehr früh schon von ihrem Vater Mathew Knowles in eine Pop-Karriere gedrängt worden, die sofort in die Stratosphäre des Erfolgs führte. So blieb sie lange eine Marionette ihrer Eltern. Und als sie vor gut zwei Jahrzehnten ihre Solokarriere lancierte, stand diese im Zeichen einer verspäteten Ablösung. Die Sängerin musste erst auf Distanz zum Vater gehen, um Raum zu schaffen für eigene künstlerische Visionen. In ihrem neuen Song «Daughter» thematisiert sie auch Gewaltausbrüche von Mathew Knowles – und sie fürchtet, dass er ihr seine Kaltblütigkeit vererbt haben könnte.

Destiny's Child (Beyoncé, Michelle Williams, Kelly Rowland v. l. n. r.) zusammen mit Matthew Knowles.

Pam Francis / Hulton Archive

Auf den ersten Soloalben zehrte die Sängerin noch vom verspielten R’n’B à la Destiny’s Child. Wobei sie mehrstimmige Passagen nun im Studio selber einsang. So entwickelte sich der gospelartige Austausch zwischen Beyoncé-Solo und Beyoncé-Chor, der ihr Repertoire prägen sollte. In Songs wie «Work It Out», «Freakum Dress» oder «Déjà Vu» deutete sie früh schon ihre Lust auf anarchische Experimente und harsche Klänge an. Gleichzeitig versuchte sie sich immer wieder auch in gefälligen Songs und schleppenden Schnulzen.

Dass sich die Sängerin selbst noch nicht ganz im Klaren war über ihre künstlerische Identität, zeigte das Album «I am . . . Sasha Fierce» (2008). Bei Sasha Fierce sollte es sich angeblich um ihr Alter Ego handeln, das für ihre mutigere Seite stand; der bürgerliche Name Beyoncé hingegen schien einer schüchternen, von Lampenfieber geplagten jungen Frau zu gehören.

Hip-Hop als Rettung

Beyoncés Musik wurde zwar stets durch hohe Verkaufszahlen und zahlreiche Preise belohnt (mit 32 Auszeichnungen hält sie unterdessen den Rekord bei den Grammys). Trotzdem drohte ihr die Gefahr, in tranig-trendigem Mainstream-Pop zu versumpfen. Die Rettung aber brachte Hip-Hop.

Zum einen verschaffte sie sich durch ihre Liaison und spätere Ehe mit dem Hip-Hop-Star Jay-Z mehr Unabhängigkeit vom autoritären Vater. Zum andern bewährten sich die Hip-Hop-Methoden des Sampelns, Bastelns und Mischens als Therapie gegen künstlerischen Stillstand. An der Seite von stilbildenden Produzenten wie Kanye West oder The-Dream experimentierte sie mit vielfarbigen Klängen und Rhythmen. Und sie entwickelte dabei hypnotische Tracks, die poppig blieben und doch mit formalen Wagnissen, irisierenden Sounds und elektrisierenden Rhythmen überraschten.

Im Laboratorium der Beats testete Beyoncé auch das Potenzial ihrer Stimme aus. In Mantra-artigen Loops («Single Ladies») setze sie auf kommandoartige Sprechgesänge; in Soul-Nummern («Rocket») entwickelte sie elegischen Schwung. Unterdessen variiert Beyoncés Gesang in zahllosen Tönungen zwischen einer flammenden Bruststimme, kehligem Zorn, einem lockeren, mütterlichen Singsang und mädchenhafter Zärtlichkeit im Diskant. Und mochte sie einst um eine greifbare künstlerische Individualität ringen, so bewährte sich ihre vokale Variabilität immer mehr als Ausdruck vielfältig schillernder Persönlichkeit.

Das offenbarte sich spätestens auf dem Album «Beyoncé» (2013). Die Künstlerin hatte dafür die ganze Avantgarde der Hip-Hop-Produzenten zusammengetrommelt. Aus dem kollektiven musikalischen Brainstorming filterte sie dann die originellsten Ideen heraus. Musikalisch nimmt sich das Album wie eine erotische Fuge aus. Es thematisiert aber auch eheliche Spannungen und Emanzipation.

Hatte Beyoncé ihre weiblichen Fans mit Songs wie «Independent Women», «Yes» oder «Run the World (Girls)» schon immer zu Selbstermächtigung ermuntert, untermauerte sie ihre Position nun vermehrt auch durch expliziten Feminismus. So liess sie zwei Jahre später auf «Lemonade» die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie in einem Sample zu Wort kommen: «Feminist: the person who believes in the social, political and economic equality of the sexes.»

«Lemonade» drehte sich zwar um Feminismus. Das herausragende Album manifestierte aber auch Beyoncés Sympathie für die «Black Lives Matter»-Bewegung. Der Song «Formation» thematisierte ihre afroamerikanische Herkunft; im Video zur Musik wurde überdies das vom Hurrikan «Katrina» zerstörte New Orleans als Sinnbild afroamerikanischen Elends gezeigt. Schliesslich inszenierte Beyoncé den Song auch für ihren Auftritt in der Halftime-Show der Super Bowl 2016: als gigantische, subversive Black-Power-Parade.

Der Auftritt war typisch für Beyoncés Neigung zu einer rituellen Musikalität, die an Prozessionen und Paraden gemahnt. Ihr Repertoire ist durchsetzt mit karnevalistischen Rhythmen, mit den für New Orleans charakteristischen Second-Line-Grooves und mit Cheerleader-Beats. Die Schrittmuster und Choreografien dieser Traditionen verleihen Songs wie «Formation» eine raumgreifende Dringlichkeit. Und umso leichter lassen sich die musikalischen, am Computer entwickelten Ideen im Konzert oder im Video-Clip als zeremonielle Gesamtkunstwerke inszenieren.

Amerika für alle

Die bisher letzte Station in Beyoncés Karriere markierte 2022 das Album «Renaissance». Von der Voguing- und House-Kultur der 1980er Jahre inspiriert, lässt die Sängerin frühe Formen von queerer Musikkultur aufleben. Die Verneigung vor der LGBTQ-Bewegung erstaunt nicht.

Auf ihrem künstlerischen Weg ist Beyoncé den eigenen Prägungen nachgegangen, um dabei alle weiblichen Archetypen durchzuspielen - von der majestätischen Bitch über die zärtliche Mutter bis zur verruchten Göttin. Dabei aber wurde sie hellhörig für verschiedenste Formen gesellschaftlicher Diskriminierung.

Als afroamerikanische Frau ist Beyoncé selbst mit vielfältiger, sogenannt intersektionaler Diskriminierung konfrontiert. Sie hat sich aber nie mit irgendeiner Opferrolle abgefunden. Was Wunder, mag man denken – sie gehört zu den Gewinnern des amerikanischen Showbiz. Ihren materiellen Privilegien zum Trotz, empfiehlt sich ihre Streitbarkeit und Souveränität aber durchaus als Mittel gegen überspannte Identitäts-Ideale.

Beyoncé hat ein besonderes Gespür für die zeremonielle Umsetzung ihrer Songs: Auftritt im Februar 2013 in der Halftime-Show der Super Bowl in New Orleans.

Imago

Mit ihrem Multimedia-Pop hebt Beyoncé stets die positiven und negativen Erfahrungen als schwarze Amerikanerin hervor. Sie beanstandet Diskriminierung, aber sie bleibt dabei nicht stehen. Vielmehr übertrumpft sie sexistische Dumpfheit mit ihrem glamourös inszenierten Feminismus. Und dem Rassismus von Rednecks begegnet sie nicht nur mit furioser Black Power. Sondern auch mit Country.

Frühere Versuche mit Country («Daddy Lessons», 2016) seien im weissen Amerika auf so viel Kritik gestossen, hat Beyoncé verlauten lassen, dass sie erst recht habe in dieses Genre vorstossen wollen. Mit «Cowboy Carter» demonstriert Beyoncé, dass sie nicht auf ihre Rolle als Frau, als Afroamerikanerin und als Exponentin einer Minderheit reduziert werden will. Sie kämpft um künstlerische Freiheit jenseits einschränkender Kategorien. Und um eine bedingungslose amerikanische Identität.

In den beiden Songs «American Requiem» und «Amen», die das neue Repertoire mit Gospel-Chören einrahmen, träumt sie davon, die Sünden der Väter zu überwinden, um Amerika als Kirche zu gründen, die endlich alle Amerikanerinnen und Amerikaner vereint.

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